SZ 29.5.07
Auch Wessis lieben Ostrock
Von Bernd Goldammer
Die Puhdys locken noch immer: 5500 Besucher aus allen Himmelsrichtungen sind dabei, wenn die Altmeister den Kamenzer Hutberg beben lassen.
Mit dem weißen Nebel kommt knisternde Stille. Gitarrentöne werden lauter und lauter. Die Tonfolgen wiederholen sich in gleichbleibendem Tempo. Druckvoll steigen Bass und Schlagzeug ein. Gleichzeitig schlägt gleißendes Licht durch den Bühnennebel in das Runde der Hutbergbühne. Alles zusammen löst das Gefühl einer Druckwelle aus, Arme gehen nach oben, Jubel kommt aus 5500 Kehlen. Vor der Bühne wird es eng. Väter tragen ihre Kinder auf den Schultern, um ihnen ihre Idole zu zeigen. Mittendrin auch Jaquelline Thorwald, die schon 1993 erstmals zum Puhdys-Konzert nach Kamenz gekommen war. Puhdys, Pfingsten, Kamenz-Dresden, das gehörte für sie nun alljährlich dazu. Jetzt übrigens nicht mehr, denn der Mann hinter der Frau machte irgendwann einen rosigen Strich durch diesen Ablauf – jetzt kommen beide jedes Jahr aus Bremen nach Kamenz. Und ein stimmbrüchiger Junge gehört mittlerweile auch dazu…
Es sind solche Geschichten, die wohl fast jeder hier im Publikum erzählen kann: Die Puhdys sind Anlass für viele Begegnungen der besonderen Art. Auch die: Plötzlich klettert einer auf die Bühne, macht seiner Angebeteten einen Heiratsantrag. Ein Balzruf auf der Bühne.
Ein Chor aus tausend Kehlen
Zwei Stunden aalen sich alle Anwesenden im Bad der Gefühle. Der Chor aus 5500 Kehlen singt „Melanie“. Ein Lied, das vom Leben erzählt. Jahrzehnte alt, hat es nichts an Bedeutung verloren. Auf den oberen Traversen singt Martin Funke mit. Der 52-Jährige ist aus Grubschütz bei Bautzen mit Töchtern und Schwiegersöhnen gekommen. Dieses Familienereignis hat Tradition, sagt er. Tradition hat das Konzert auch für Oliver Hiepler, der nur wenige Schritte entfernt steht. Seine 10-jährige Tochter schwenkt farbige Leuchtstäbe im Takt. Er wohnt mittlerweile in Bremen. Aber zu Pfingsten will er stets zurück in seine alte Haut. Carris-Lee, seine Tochter, soll sehen wo seine Wurzeln liegen: „Diese Band ist ein Phänomen“, beschreibt er, „die Texte erzählen von dem, was wir alle kennen.“ Und er fügt an: „Ich hab’ dann immer das Gefühl, das hab’ ich auch gerade gedacht…“. Oliver Hiepler stellt fest: „Die Jungs haben immer noch viel Wichtiges zu sagen.“ Dann kehrt er zurück in das Universum seiner Gefühle. Dieter Peschke aus Dresden übernimmt: „Schreib doch mal, dass wir auch die neuen Songs der Puhdys gern mal im Radio hören wollen!“
Freunde bleiben im Leben
Wenige Schritte weiter ist Stephan Ilijevec zu sehen. Arme überkopf singt er mit: „Was bleibt, was uns bleibt, sind Freunde im Leben…“ Auch er hat eine besondere Geschichte über die Puhdys zu erzählen – stammt er doch aus dem „Westen“, lebt heute in Berlin. „Was denkt man in der DDR über uns?“ fragt er sich lange vor 1989. Mitten im kalten Krieg hörte er deshalb RadioDDR. Die Propaganda fand er schräg, sagt er heute, „aber die Musik war toll!“ So wurde er Puhdys- Fan. Und als die 1979 nach Kassel kamen, war er dabei. Natürlich! „Die Band wirkte so angenehm flippig“ erinnert er sich heute.
Als nach weit über zwei Stunden Konzert das Bühnenlicht an geht, fahren die Fans wieder in alle Himmelsrichtungen. Und mit ihnen viele, viele Geschichten…