#1

Gelesen : "Verdammt, wer hat das Klavier erfunden ?"

in Ostrock in der Presse, in Rundfunk, Fernsehen, WWW usw. 12.11.2008 20:15
von PM | 4.235 Beiträge | 5060 Punkte
Da bin ich doch wieder mal auf einen Tipp reingefallen, der hier im Forum stand. Meinte doch ein Herr aus EE, sinngemäß, man solle sich mal bitteschön mit einem neuen Ostrockbuch mit dem Titel „Verdammt, wer hat das Klavier erfunden ?“, über einem Herrn Natschinski beschäftigen. Er hätte dies auch getan und überdies noch eine Lesung von Thomas Natschinski und Christine Dähn besucht und sei schwer beeindruckt gewesen.

Da ich auch leicht zu beeindrucken bin, tat ich dies und bestellte bei Amazon das empfohlene Werk, um im Urlaub in Ruhe jeden Tag mal paar Blättchen umzudrehen. Und wieder kam es ganz anders.
Nach zwei Tagen Urlaub stellte ich entsetzt fest: Schei…. Ausgelesen!!
Das Buch hat einen einzigen Mangel, es ist zu kurz. Ob man das reklamieren kann?

Wer mich kennt, weiß, dass ich mich nicht nur für Ostrock, sondern auch sehr für gedrucktes zum Thema interessiere. Die letzten zwei Jahre haben uns da einiges beschert. Das Beste seit langem für mich die Autobiographie von Cäsar, der einen ausgesprochen guten Schreiberling dafür gefunden hatte – ein Buch, das schwer zu überbieten ist – besonders in der Art und Weise wie sich dem Mensch Cäsar genähert wird. Ich glaube sowieso Biographien über Persönlichkeiten stehen und fallen mit geschickten Gastschreibern, sie müssen nicht nur ihr Handwerk beherrschen, sie müssen eine Beziehung zum Helden des Buches haben. Dies scheint in Gestalt von Christine Dähn hier gegeben zu sein, sie kennt Natschinski seit vielen Jahren.

Natürlich sagte mir auch vorher der Name Natschinski was – aber nahegebracht hat ihn mir erst dieses Buch. Witzig, das Thomas seine Kindheit in unserem Landkreis verbracht hat, war mir völlig neu. Und man hätte mich vorher leider nicht nach Details fragen können, was er musikalisch so verbrochen hat. Die Mokkamilcheisbar war mir natürlich bekannt – aber sonst? Ich hatte ihn zur East Rock Symphonie in Magdeburg Herrenkrug gesehen und mir so gedacht – ganz hübsch, aber da ich mit der Musik von Gabi Rückert nicht so viel anfangen kann, hatte ich es gleich wieder abgehakt.

Erst als ich von den Herren von Apfeltraum auf eine musikalische Reise in meine Kindheit entführt wurde, begegnete ich wieder diesem Natschinski. Das er es eigentlich war, der die deutschsprachige Beatmusik quasi „erfunden“ hat, hab ich erst seit dieser musikalischen Begegnung realisiert. Will mich da mal nicht rausreden, aber um da mitreden zu können, bin ich ausnahmsweise mal zu jung.
Als sich für mich die sprichwörtlichen Türen zur Stadt in Gestalt der Puhdys öffneten, war die aktive Rockerlaufbahn von Herrn Natschinski im Wesentlichen beendet. Eigentlich wird es ja immer den Puhdys und Renft zugeschrieben, dass sie der deutschsprachigen Rockmusik zum Durchbruch verholfen haben. Das dies schon etliche Jahre eher von einem damals Minderjährigen erledigt wurde, ist echt witzig.

Und trotzdem hat sich was ganz tief eingeprägt – nämlich ein Titel, den Jens und Matti gespielt haben –„Unsere Träume verwehen nicht im Wind ..“ der ist ein Lieblingstitel meiner Kindheit gewesen und so was ähnliches haben auch oft Singegruppen gemacht. Komisch, manche Sachen sind jahrzehntelang verschüttet und dann holt sie jemand ans Licht und es geht einem nicht mehr aus dem Kopf.

Dieses neue Ostrockbuch ist ein sehr emotionales und ehrliches Werk. Viele Ostrocker kommen zu Wort und schildern ihre Sicht auf die dargestellten Begegnungen. Hochinteressant die Storys, als Natschinski in der Band von Vroni Fischer spielte und seine Zeit bei Karat. Da gibt es Einblicke, die man so noch nicht lesen konnte.
Es gefällt mir in dem Buch auch sehr gut, dass er zu seiner privilegierten Herkunft, bedingt durch das musikalische Werk des Vaters steht und seine Zeitzeugengeschichten objektiv einordnet. Überhaupt hat das Buch mir sehr geholfen, eine Zeit, die man eigentlich selbst miterlebt hat, aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen ohne dass Herr Natschinski diese Art von Nachhilfe mit erhobenem Zeigefinger gibt. Er ist ein Jugendfreund vom Jugendfreund König und in der heutigen Zeit gehört etwas Courage dazu, auch einen FDJ Funktionär zu Wort kommen zu lassen, ohne dass dieser sich bis zur Unkenntlichkeit verbiegen muss und ein Kübel Dreck über ihm ausgeschüttet wird.

Was mir nicht so gefällt – es wird mir zu vordergründig ausgewalzt, dass Natschinski in der DDR geblieben ist obwohl er oft die Chance hatte, zu gehen, klingt mir zu sehr nach Entschuldigung, die eigentlich keiner unserer Ostkünstler nötig hat und ich bin sowieso kein Freund der Leute, die ohne Not ihr Publikum in Stich gelassen haben, im Westen nichts geworden sind und dann nach der Wende Krokodilsträhnen vergossen haben, wie sehr ihnen doch ihr Publikum gefehlt hätte.

Einzigartig finde ich, dass ein Künstler auch mal einen Fan in seinem Buch Raum gibt, ein Konzerterlebnis zu schildern. Jens Kurze, alias Toms Daddy, erzählt hier gekonnt vom Konzert anlässlich des 60. Geburtstages von Natschinski. Dem Leser wird hier schlagartig klar, was er da verpasst hat.
Ich werde aber wenigstens mal versuchen, so eine Lesung von Team 2 – Natschinki und Dähn - zu besuchen.

Klick mal druff hier:

zuletzt bearbeitet 12.11.2008 20:18 | nach oben springen

#2

RE: Gelesen : "Verdammt, wer hat das Klavier erfunden ?"

in Ostrock in der Presse, in Rundfunk, Fernsehen, WWW usw. 12.11.2008 20:39
von HH aus EE (gelöscht)
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Mit jedem Wort, das Du schreibst, Petra, sprichst Du mir aus der Seele!

Diese Autoiopraphie ist, ähnlich wie die von Cäsar, von einer seltenen, ehrlichen Schlichtheit und in jedem Fall autentisch. Will man also etwas über die Zeit damals erfahren, dann muß man diese beiden Bücher erwähnen. Mit ihnen kann man tief in die Geschichte des Beat und Rock "Made in GDR" einsteigen, ohne Gefahr zu laufen, etwas beschönigt oder verrissen zu bekommen. Ich habe beide Bücher verschlungen und mich in jedem Moment des Lesens selbst entdecken können.

DANKE Petra, hast Du toll und lebendig beschrieben. Mehr davon, es müssen nicht immer Konzertberichte sein!!
Es gibt noch soooo viel zu entdecken.

Als Ergänzung gibt's von mir die erste Single von 1964 (!!) mit dem im Beitrag erwähnten "Lied von den Träumen".

Angefügte Bilder:
Team_4_800x805.jpg
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#3

RE: Gelesen : "Verdammt, wer hat das Klavier erfunden ?"

in Ostrock in der Presse, in Rundfunk, Fernsehen, WWW usw. 12.11.2008 20:56
von Sonny | 1.753 Beiträge | 2061 Punkte

Ohje, kaum ist petra aus dem Urlaub zurück, nutzt sie die neu gewonnenen Kraft für so einen tollen Eintrag hier. Da bin ich doch glatt animiert, mir das Buch zu "organisieren". Zwei Tage Zeit zum Lesen finde ich dann schon Danke für diese Ausführungen.


*
Doch die Zeiten ändern sich. Ob wirs mögen oder nicht. Alles hat seine Zeit.

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#4

RE: Gelesen : "Verdammt, wer hat das Klavier erfunden ?"

in Ostrock in der Presse, in Rundfunk, Fernsehen, WWW usw. 12.11.2008 21:29
von ConnyCity (gelöscht)
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Hallo, liebe Petra. Vielen Dank für Deinen interessanten, mich auch nachdenklich machenden, Beitrag. Super geschrieben...!
Also, Auftrag verstanden (schon damals von HH "erteilt" ). Endlich, endlich weiss ich eine als Bücherfetischistin vieler Genre die ,sinnvollste, Verwendung überhaupt, der vor einer Woche erhaltenen Geburtstagsg
utscheine von Amazon!!! Bestellung geht gleich raus und ich werde versuchen, auch meine Eindrücke nach dem Lesen hier einzubringen. Sooo gut bin ich in diesen Sachen nicht, aber..., der Weg ist das Ziel.
Hoffentlich hattest Du einen schönen Urlaub, willkommen zurück!!
Herzliche Grüße an alle Ostrockfans.
Conny u. Co.
zuletzt bearbeitet 12.11.2008 21:34 | nach oben springen

#5

RE: Gelesen : "Verdammt, wer hat das Klavier erfunden ?"

in Ostrock in der Presse, in Rundfunk, Fernsehen, WWW usw. 12.11.2008 22:01
von Mary (gelöscht)
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Habe das Buch auch seid paar Tagen in meinem Besitz.
Danke Petra für die wirklich interessanten Zeilen. Es scheint, wir hören nicht nur alle die gleiche Musik, wir lesen auch noch die gleichen Bücher...

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#6

RE: Gelesen : "Verdammt, wer hat das Klavier erfunden ?"

in Ostrock in der Presse, in Rundfunk, Fernsehen, WWW usw. 12.11.2008 22:55
von Wodka (gelöscht)
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Na da bin ich mal wieder ein Außenseiter! -grins-

Ich höre keine Puhdys und ich lese Kochbücher ..... -prust-

Na trotzdem, oder gerade deswegen ....


Hans

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