#1

Wenn Kultur eine Lobby hätte - das KULTURHAUS in PLESSA

in Off-Topic 25.01.2010 18:21
von HH aus EE (gelöscht)
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Wenn Kultur (auf dem Land) eine Lobby hätte…… das Kulturhaus in Plessa

„Es gab mal eine Zeit“, singt Klaus „der Renft“ auf einer seiner letzten Veröffentlichungen und meinte damit jene Jahre, in der seine kleine Rock’n’Roll-Welt noch irgendwie und halbwegs in Ordnung war. In jenen Jahren hat er auch mit der KLAUS RENFT COMBO auf der Bühne im Kulturhaus Plessa gestanden.
Es gab mal eine Zeit, die stellten die DDR-Kultur-Oberen unter das Motto „Kultur auf’s Land“. Eine der wenigen Ideen, der man noch heute vorbehaltlos zustimmen kann, wenn es nur darum geht. Die Idee meinte, dass nur eine auch kulturell gebildete Nation sich wirklich weiter entwickeln und schöpferisch tätig sein könne. Dem stimme ich zu, aus heutiger Sicht erst recht.

Damals entstanden auch in kleinen Dörfern Bibliotheken, denn lesen bildet und fördert die Fantasie. Erzähl’ das mal heute einem jugendlichen Computer-Junkie!
Es entstanden Laienspiel- und Tanzgruppen, kleine und große Orchester, mit der heutigen Vereins-Mentalität in keiner Weise zu vergleichen.

Damit dies alles ein vernünftiges Zuhause hatte, entstanden selbst in kleinen Orten größere Kulturhäuser, meist mit der Hilfe großer Kombinate, die in der Nähe lagen und hunderten Menschen Arbeit gaben. Die Werktätigen sollten sich in ihrer Freizeit sinnvoll betätigen und auf diese Weise das ländliche Leben abwechslungsreicher gestalten und ihre eigene Freizeit gleich mit. Dem würde ich heute auch zustimmen.

Natürlich könnte sich jetzt auch jemand finden, der meint, das hätte man nur gemacht, um die Menschen besser kontrollieren und unter die Idee des Sozialismus zwingen zu können. Da würde ich nur den Kopf schütteln, ob solcher Plattheiten, denn manchmal haben Menschen auch in der DDR nur das gemacht, wozu sie Lust hatten, so wie heute übrigens auch. Die Lausitz ist ein knorriger Landstrich und die Menschen, die hier leben, ließen und lassen sich auch nur bis zu einem bestimmten Punkt biegen, verbiegen so gut wie ausgeschlossen.

In jenen Jahren wurde im kleinen Plessa, zwischen den etwas größeren Kleinstädten Lauchhammer und Elsterwerda gelegen, ein ziemlich großes Kulturhaus gebaut. Es war Heimstatt für ein Blasorchester und bot in einem kleinen und einem noch viel größerem Saal die Möglichkeit, viele Veranstaltungen durchzuführen. Diese Möglichkeit nutzten das Theater (der Bergarbeiter) Senftenberg oder die Landesbühnen Sachsen. Ganze Schulklassen haben sich regelmäßig auf diese Weise dem klassischen deutschen Musik- und Musiktheatererbe genähert. Aber auch die KGD, die Konzert- und Gastspieldirektionen, nutzten die Spielstätte leidlich, um Kulturveranstaltungen, die wir heute Musikantenstadl nennen würden, unter das gemeine Volks zu streuen. Ich weiß nicht, was daran verwerflich gewesen sein soll.

Auf dieser Bühne erlebte ich als Teenager die Dresdner THEO SCHUMANN COMBO, dort spielten UVE SCHIKORA mit Hansi Beyer, die BÜRKHOLZ FORMATION und die frühen PUHDYS (mit Udo Jakob und Herbert Dreilich) noch vor ihrer offiziellen Bandpremiere in Freiberg. Auf der Plessaer Bühne hatten auch die KLOSTERBRÜDER jenen legendären Auftritt, der ihnen beinahe das Genick gebrochen hätte, was dann wenig später ohnehin geschah.
Auf dieser Bühne organisierte ich später als Profi Rock-Konzerte mit TRTANSIT, HANSI BIEBL, PANKOW, MONA LISE, STEFAN DIESTELMANN, POSSENSPIEL, FAMILIE SILLY, MERIDIAN, ANGELIKA MANN, der STERN COMBO MEISSEN, der SCHUBERT BAND und auch mit NEUMI’s ROCK-CIRCUS.

Im Laufe der Jahre kam auch diese Kulturstätte in die Jahre, wurde anfällig für technische und hygienische Krankheiten und bei manchem Sturm verabschiedeten sich auch einige Dachziegel. Aber die alte „Hütte“ hat das alles überstanden und die Wende bzw. politische Kehrtwendung überlebt.
Der Plessaer Karnevals-Club feierte danach eine furiose (Wieder)Auferstehung und im Haus die traditionellen und legendären Faschings-Feten, deren Ruf schon zu tiefen DDR-Zeiten nach Tanz, Spaß und Alkohol roch. Verdammt, was waren das für ausgelassene Nächte! Inzwischen lebt dieser lustige Verein schon 55 Jahre, also zwangsläufig auch schon zu DDR-Zeiten. Gelacht, getanzt und gesoffen wurde immer.

Nun gibt es eine neue, sprich „bessere“ Zeit und nach dem großen Millenium stellte irgendwer fest, dass der alte Kulturschuppen, ein Überbleibsel der DDR-Diktatur, den modernen technischen Qualitäts- und Normregeln nicht mehr genüge. Ein Diktatur-Schaden wahrscheinlich. Entweder, man findet einen Investor oder das Ding wird geschlossen, abgerissen gar. Man weiß ja, wie so etwas mit viel Geld und Aufwand zu machen ist. Berlin und der Palast lassen grüßen, Dresden „probt“ auch gerade.
Auch die Idee eines Einkaufstempels in der 2600-Seelen-Gemeinde war im Gespräch. Als ob Konsum und Kaufwahn ein Allheilmittel gegen Langeweile und Frust wären, wo auf dem Lande heute eh kaum noch einer Geld hat und ringsum ohnehin schon alles voll mit neuen Konsum- und Einkaufs-Baracken ist.

Leute, was soll dieser ganze Wahn- und Blödsinn??

Ich will erst gar nicht auflisten, wofür in diesem Land Gelder des sog. Steuerzahlers verplempert und versenkt werden, Jahr für Jahr neu. Ohne Bestrafung übrigens und völlig legal, solange solche Entscheidungen Minister ausbrüten! Mal davon abgesehen, dass die in Afghanistan eingesetzten Waffen und Soldaten auch nicht gerade einen Pappenstiel kosten. Damit könnte man ein ganzes Dorf aus Kulturhäusern bauen.

Erzähl’ mir auch keiner etwas von Planung und Etat, von Geldern auf diesen oder jenen Konten, die der Staat nicht zweckentfremden dürfe. RIO REISER würde sofort mit „Alles Lüge“ kontern!
Wenn’s dem System und deren Macht-Verwaltern in den Kram passt, genügen auf die Schnelle schon mal ein paar Milliarden, um einem maroden Privatunternehmen oder einer Bank unter die Arme zu greifen. Systemrettung als Hauptaufgabe, sonst wäre es ja bankrott, wie jene Republik zuvor auch. Kultur – Fehlanzeige!

Wenn wir es in diesem Land nicht gebacken kriegen, einen solchen Musentempel mit Kneipe und einer tollen Bühne als kulturelle Heimat für Menschen zu erhalten und mit Leben zu erfüllen, dann sind wir arm dran und weit davon entfernt, als Kulturnation anderen Nationen beim Aufbau einer, wie auch immer gearteten, „Demokratie“ zu helfen. Dann sind wir ziemlich weit weg von dem, was wir großkotzig Zivilisation nennen.
Findet einfach einen Weg, aus dem Problem eine Aufgabe mit einem Inhalt zu machen. Alles andere kann kein normal denkender Mensch auch nur im Ansatz verstehen.

Hut ab vor dem Haufen Unentwegter in Plessa, die einen Verein gründeten, um das alte Haus zu erhalten und zu nutzen.
Hut ab vor denen, die in Amt und mit Mandat sich für die alte Kultureinrichtung einsetzen und sich vielleicht auch mal das Maul und die Finger verbrennen.
Hut ab vor dem Willen jedes Beteiligten, das alte Haus wenigstens teilweise mit Leben, Lachen und Inhalt zu erfüllen.
Hut ab vor der Einstellung, jeden erwirtschafteten Euro in den Erhalt des Kulturhauses zu stecken und die manchmal schon wunderlichen Auflagen, die irgend so ein Gesetz formuliert, zu erfüllen.
Doch manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass so manche Auflage schlicht an der Realität vorbei gemacht ist und eher den Zweck erfüllt, gewollt oder ungewollt, ein weiteres Leben in der alten Hütte zu erschweren.

Dabei wäre es doch so sehr wünschenswert, nicht nur dem König Konsum kommunale Türen zu öffnen, sondern auch geistig wertvolle Nahrung möglichst preiswert und zum Anfassen gemacht, in alle Winkel des Landes zu tragen. Die Erben von Goethe, Schiller, Einstein und Masur sollten nicht nur essen und trinken können, sondern auch lesen, singen, tanzen, musizieren, malen und mit allen Sinnen Kunst genießen dürfen. Wer singt, tanzt und lacht, dem steht der Sinn eher nicht nach Gewalt, Hass und dumpfer Ausländerfeindlichkeit.

Diese Zeilen verstehen sich als klitzekleiner Beitrag in genau diese Richtung und vielleicht auch als Motivation für all jene, die nicht bereit sind, aufzugeben. Ihnen sollte unsere Hochachtung und Unterstützung gelten, denn sie alle haben keine Lobby, aber ein Ideal – ihr Kulturhaus.

Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 25.01.2010 18:26 | nach oben springen

#2

RE: Wenn Kultur eine Lobby hätte - das KULTURHAUS in PLESSA

in Off-Topic 25.01.2010 19:50
von DeutscheMugge | 197 Beiträge | 360 Punkte

Lieber Hartmut, das ist eine lobenswerte Sache, die man unbedingt unterstützen muss. Hier vor der eigenen Haustür ist ein änliches Projekt gestartet, und auch hier hat ein eigens dafür gegründeter Verein den Betrieb eines unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zu kulturellen Zwecken gesichert. Ich wünsche solchen Leuten maximale Erfolge und viel Kraft im Kampf gegen Verblödung, Behördenwillkür und (was noch viel viel schlimmer ist) gegen die Holzköpfe bei der EU.

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#3

RE: Wenn Kultur eine Lobby hätte - das KULTURHAUS in PLESSA

in Off-Topic 25.01.2010 20:14
von PM | 4.235 Beiträge | 5060 Punkte

Durch die Konzertbesuche der letzten zwei Monate hab ich in Leipzig zwei wunderbare Projekte kennen gelernt.
Die Schaubühne Lindenfels und das UT Connewitz sind beide von Vereinen getragen und mit privaten Spenden finanziert. Beide Häuser sind alte Lichtspieltheater , denkmalgeschützt und mit enormen Renovierungsbedarf. Davon lassen sich die Enthusiasten dort nicht abschrecken, Hut ab vor solchen Initiativen.
In der Großstadt sind solche Sachen natürlich einfacher umzusetzen und die Veranstaltungen dort sind sehr gut besucht. Schaubühne Lindenfels macht zum Beispiel die berühmte Russendisco mit Karminer.
Hartmut, auch wenn ich euer Kulturhaus nicht kenne, es tut mir Leid, dass bei euch die Kultur keine Lobby hat. Ist bei uns aber auch so, unser Dorfgasthof verfällt und ist ein Schandfleck geworden.


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