#1

Die "Twin-Guitars" der DDR - REFORM live 1978 !

in Konzertberichte Ostrock allgemein 17.02.2010 19:01
von HH aus EE (gelöscht)
avatar

Die „Twin-Guitars“ der DDR - REFORM live 1978

Manche Dinge macht man nicht, die passieren einem einfach so, ohne dass man sie wirklich will. Hinterher merkst Du dann, das war genau das richtige Ding zur rechten Zeit. Die Vorhersehung hätte das Missgeschick, aus dem alles entstand, auch nicht besser hinbekommen.

Mir ist so ein „Missgeschick“ am 31. Mai 1978 passiert. Schon einige Tage vorher war mir mulmig zumute, weil ich keine Vorstellung davon hatte, wie die Technik der STERN COMBO MEISSEN, die im Gesellschaftshaus Elsterwerda ein Konzert geben sollte, in dem alten Haus und vor allem auf der Bühne, untergebracht werden könnte. Immerhin sollte im Saal ein quadrophones Soundbild entstehen.
In diese Überlegungen hinein bekam ich kurz vor dem Konzerttermin einen Anruf von Detlef Seidel mit der Nachricht, dass die STERN COMBO MEISSEN wegen einer Auslandsverpflichtung leider nicht kommen könne und dass REFORM diesen Termin wahrnehmen würde.

Na Klasse! Die gedruckten (!) Eintrittskarten waren alle verkauft und wir hatten keine Chance mehr, etwas zu ändern. Also ließen wir die nächsten Tage und das Konzert mit REFORM einfach auf uns zu kommen.
Natürlich war uns sofort klar, dass diese Band nicht einfach so ein Ersatz darstellte und in unserer Planung war REFORM sowieso eine feste Größe. Letztlich überwog die Freude auf ein Konzert, das wir ohnehin machen wollten und wir waren irgendwo auch froh, kein technisches Problem mehr zu haben.

Nach der FUSION-Tour der STERN COMBO und KLOSTERBRÜDER 1975 rotierte in beiden Bands das Musikantenkarussell. Den Klosterbrüdern blieb nur eine Neuorientierung, in dessen Zuge sich Jörg „Matze“ Blankenburg entschloß, sein eigenes Projekt zu starten.
Ihm schwebte mit der neuen Band ein Sound irgendwo zwischen Gentle Giant, Genesis und Wishbone Ash, basierend auf zwei gleichwertigen Leadgitarren, vor. Als „Gitarristen-Zwilling“ konnte er Werner „Der Lange“ Kunze gewinnen, der die STERN COMBO MEISSEN wegen deren Neuausrichtung auf die Tasten verlassen musste. Die Musikerkollegen Peter Piele an den Drums sowie Mike Demnitz, der „Bass-Bomber“, schufen das rhythmische Fundament der neuen Band.
Die rauchige Stimme des Sängers Frank Schönfelder sowie sein Hang zu theatralen Akzenten schienen für dieses Konzept besonders geeignet, doch erst, als Stefan Trepte von ELECTRA kommend das Mikrofon bei LIFT stehen ließ und zu REFORM wechselte, prägte sich zunehmend ein eigenes Klangbild mit deutscher Rocklyrik heraus. Die Band befand sich im Zenit und mit Trepte hatte sie den zu jener Zeit wohl besten Rock-Shouter des Landes in ihrer Mitte, der von LIFT seinen schöpferischen Drang, Neues auszuprobieren, mitbrachte. Er war das optische Aushängeschild und auch die Verkörperung von Rock’n’Roll in Person. Entsprechend stürmisch und brachial konnte die Band in Konzerten wirken und genau dieser Ruf und das Bandmotto „Wir setzen eine neue Norm – REFORM“ ließen die Fans in die Konzerte strömen.

Nicht zu unrecht, denn die Band verausgabte sich meist von Beginn an. Am Piano sitzend sang STEFAN TREPTE seine Balladen wie „Nebel“ oder „Ich suche dich“ und nahm jeden mit auf eine Reise der Emotionen, der sich auf seinen, auch in leisen Tönen, ausdrucksstarken Gesang, einließ. Am Mikrofon stehend donnerte er dann sein „Hey, Schwester küß’ mich“ und dieses „gut, gut, gut“ in den Saal. Dabei agierte er mit dem Mikro-Ständer so, dass man auch sehen konnte, wie er das meinte.

Die beiden Gitarren vom „Langen“ und „Matze“ in hinteren Bereich der Bühne nahmen dieses Spiel auf, führten es solistisch weiter, um letztendlich in einem furiosen gemeinsamen Miteinander einen exzellenten Höhepunkt zu setzen. Ich habe seither nie wieder zwei deutsche Gitarren so harmonisch und aus einem Guss, auch schwierige und außergewöhnliche Läufe spielend, live erlebt. Der lebendige Vergleich zum Vorbild WISHBONE ASH war mir damals leider nicht vergönnt. Dafür durfte ich erleben, wie REFORM das legendäre „F*U*B*B“ mit der markanten Bassfigur von eben dieser Band auf die Bühne gezaubert hat. Wahrscheinlich war es sogar ein Lieblingsstück von MIKE DEMNITZ, der seinen Bass dabei regelrecht traktieren und attackieren konnte, um sich dann meist in ein großartiges Solo zu steigern. Die Nummer mit dem Bierglas wird den meisten aus jenen Tagen sicher noch in Erinnerung sein.

Die 70er Jahre waren die Zeit der überlangen Rock-Werke. „Feuerball“ von WERNER KUNZE ist so ein Stück, das sich über gut 10 Minuten erstreckt, lange Spannungsbögen aufbaut und auf diese Weise auch die Klasse einer Band wie REFORM demonstrieren konnte. Es lebt von der Dramaturgie der Zwillingsgitarren und den gefühlvoll weichen Keyboardkaskaden.
Kein Konzert ging ohne die Reminiszenz an Genesis über die Bühne. Kaum ein Song der Engländer komprimiert deren Anliegen so intensiv wie „Musical Box“ und REFORM wurde diesem Anliegen souverän gerecht. STEFAN TREPTE erzählte die surrealistische Fabel, als wäre sie seine eigene Kreation wie etwa das spätere „Löwenzahn“, das er in ebenso intensiver Art zu gestalten vermochte. Die Fans verstanden die Botschaft wohl, die zwischen den Zeilen versteckt ist. Die Musik zu erleben, war eine Seite der Begeisterung, sich mit den Inhalten und Aussagen zu identifizieren eine andere, beinahe noch wichtigere.

Nach dem Konzert saßen wir noch gemeinsam auf der alten schwarzen Ledercouch und den Sesseln in der Garberobe hinter der Bühne zusammen. Es waren Momente und Eindrücke, die ich bis heute, aus welchem Grund auch immer, nicht vergessen kann. Sogar das gute alte Watzdorfer kann ich noch schmecken, wenn die Erinnerungen kommen. Schade nur, dass vieles oft unbewusst und spontan geschah, aber vielleicht lag gerade darin der eigentliche Reiz, sich nicht über alles Gedanken zu machen.

In der Besetzung BLANKENBURG, KUNZE, TREPTE, DEMNITZ & PIELE repräsentierte REFORM für einige Zeit das Maximum des Möglichen, sowohl textlich als auch musikalisch, in den engen Grenzen „kulturpolitischer“ Vorgaben. Trepte verstand REFORM als seine Heimat und so brachte er sich auch ein. Auf der Bühne blühte er auf, wirkte explosiv, wild, lasziv und für die weiblichen Fans sicher auch sexy. Wie so manche andere Ikone jener Jahre in der DDR lebte er das auch aus. Er ist sicher auch bis heute einer der wenigen, die es verstehen, eigene Emotionen und Befindlichkeiten in die Sprache aller zu übersetzen und auf der Bühne lebendig werden zu lassen.

Gruppen wie REFORM sind Geschichte und Musikern wie FRANK SCHÖNFELDER gelang nie der „ganz große Wurf“. Vergessen aber sind weder die Bands, noch die Musiker und schon gar nicht deren Musik. Auch wenn die Tondokumente jener Jahre überschaubar und so manche Raritäten irgendwo verschwunden sind, viele haben diese Zeit aktiv gelebt wie ich und können bzw. wollen sich erinnern, um nacherlebbar zu machen, woher dieses Phänomen „Ostrock“ gekrochen kommt.
Der Zufall wollte es, dass ich gemeinsam mit WERNER KUNZE 1969 einige Monate in einem Berliner NVA-Regiment verbringen musste. Wir sprachen oft über unsere Musik, ich sah ihn später bei Konzerten und hab’ durch den REFORM-Abend mit ihm und der Band ein paar unvergessliche Stunden erleben dürfen.
Im Februar 2009 trafen wir uns bei einem runden Musikergeburtstag in Berlin Grünau wieder. Da lagen mehr als 30 Jahre zwischen all dem und dennoch war alles plötzlich wieder lebendig.
Gleiches durfte ich bei 45 Jahre STERN COMBO MEISSEN erleben, als ich „Matze“ die Fotos zeigte, die damals bei REFORM entstanden. Plötzlich sind all die Jahre einfach unwichtig. Was zählt, ist das gemeinsam erlebte und die gleiche Art der Rückbesinnung, ohne Wehmut aber mit Freude und Dankbarkeit, diese wilde und unwiederbringliche Zeit gemeinsam erlebt und gelebt zu haben. Ich denke, schöneres kann einem Musiker und einem Musikliebhaber nicht geschehen.

Angefügte Bilder:
AK farbif_800_666.jpg
AK sw_800_657.jpg
Cover LP_575_800.jpg
Cover Single_800_792.jpg
Kunze_559_800.jpg
Matze_563_800.jpg
Mike_535_800.jpg
Piele_800_558.jpg
Poster Reform_800_600.jpg
Reform LR-Hinweis_800_292.jpg
Reform Ticket_800_549.jpg
Sticker_800_267.jpg
Trepte_557_800.jpg
zuletzt bearbeitet 17.02.2010 19:05 | nach oben springen

#2

RE: Die "Twin-Guitars" der DDR - REFORM live 1978 !

in Konzertberichte Ostrock allgemein 17.02.2010 19:36
von Mary (gelöscht)
avatar

Es ist kein Geheimnis mehr, dass Trepte für mich etwas ganz besonderes ist... und so bin ich dankbar für jeden Meilenstein seines Musiker-Lebens.
Dass Du da etwas in der Hinterhand haben musstest, ist eigentlich klar...
Danke..., für diesen Blick auf "Reform"...

nach oben springen

#3

RE: Die "Twin-Guitars" der DDR - REFORM live 1978 !

in Konzertberichte Ostrock allgemein 18.02.2010 19:40
von PM | 4.235 Beiträge | 5060 Punkte

Reform ist für mich die einzige,bedeutende Ostband, die ich immer noch nicht gesehen habe. Na gut, sie machen sich auch rar.
Sehr oft hör ich den Livemitschnitt von 2002 vom Maritim - schon alleine wegen der tollen Geigenstücke - jedenfalls steht die Band auf meiner Wunschliste ganz oben.
Danke Hartmut, dass du mich wieder mal dran erinnert hast.


Klick mal druff hier:

nach oben springen

#4

RE: Die "Twin-Guitars" der DDR - REFORM live 1978 !

in Konzertberichte Ostrock allgemein 18.02.2010 21:41
von Carsten (gelöscht)
avatar

Reform ist Spitze!
Ich erinnere mich noch gut an Eisenhüttenstadt,1980 muß es gewesen sein, Freilichtbühne.
Eigentlich bin ich wegen Magdeburg hingegangen, Reform spielte vorher. Und mein Kumpel und ich waren einer Meinung, das war ´n Ding! Beide Bands!
Stefan Trepte ist einfach Kult, ein Unikat würd ich sagen.
Mir gefallen besonders auch seine etwas witzigen, schelmischen Sprüche, wißt Ihr noch Schöner Traum? Ich hab Kopfschmerzen, ich glaub ich trink erstmal n´Bier,
das hilft mir besser auf die Sprünge...usw. Naja, Ihr kennt das ja. Er hat die Songs richtig mitgelebt!
Mein Lieblingshit ist immer noch "Wenn die Blätter fallen", jetzt hat soweit ich weiß Stefan Trepte auch wieder bei Electra gesungen.
Allerdings vermisse ich da Manuel von Senden, wißt Ihr zufällig, was er jetzt macht, singt er noch?

Beste Grüße an Euch Reform-Fans!

nach oben springen

#5

RE: Die "Twin-Guitars" der DDR - REFORM live 1978 !

in Konzertberichte Ostrock allgemein 20.02.2010 19:12
von Gelöschtes Mitglied
avatar

@ Carsten: Manuel von Senden singt noch, allerdings wie bei seiner einmaligen Stimme nicht anders zu erwarten, ist er seit Ende der 80er ein Opern-Star, der europaweit Karriere machte. Ich hab dazu etwas gefunden: siehe hier: http://suche.aol.de/aol/idoidPage?query=..._von_senden.htm
LG Ingo

nach oben springen

Wir brauchen Deine Hilfe!

Hallo !

Wir hoffen, dass dir unser Forum gefällt und du dich hier genauso wohlfühlst wie wir.

Wenn du uns bei der Erhaltung des Forums unterstützen möchtest, kannst du mit Hilfe einer kleinen Spende dazu beitragen, den weiteren Betrieb zu finanzieren.

Deine Spende hilft!

Spendenziel: 10€
99%
 



Besucher
0 Mitglieder und 28 Gäste sind Online

Forum Statistiken
Das Forum hat 9768 Themen und 100208 Beiträge.

Heute war 1 Mitglied Online :

Besucherrekord: 2000 Benutzer (08.01.2015 07:34).

disconnected Foren-Chat Mitglieder Online 0