#1

an einem schönen Maiabend im Dresdner Norden - THE BLUES BAND

in Off-Topic 17.05.2010 00:42
von Mescha | 51 Beiträge | 51 Punkte

Gerade bin ich heim gekommen. Ich hab immer noch dieses ewige Grinsen im Gesicht, das ich den vergangenen 4 Stunden zu verdanken habe.
Leider muss ich mich etwas kurz fassen, denn es ist schon spät und ich muss ja morgen arbeiten. Trotzdem möchte ich ein kurzes Statement abgeben, denn ich glaube, ich habe heute Abend eine der geilsten und wahrscheinlich die älteste ;-) Bluesband ever gesehen. Meine Fresse. Einigen wird der Name Paul Jones sicher etwas sagen. Dieser Mann, dessen Namen ganz eng mit Manfred Mann verbunden ist. Ja. Genau den habe ich heute gesehen. Zusammen mit seiner THE BLUES BAND. Diese alten Herren verstehen ihr Handwerk bis ins Kleinste und, was am beeindruckensten und furchtbar ansteckend war, sie hatten jede Menge Spass.
Wir haben getanzt, gejubelt, mit den Köpfen im Takt genickt. Wir haben mitgesungen (lauthals und schief) gepfiffen und gelacht. Heute Abend habe ich begriffen, warum man sagt, "Der Blues geht ins Blut". Oder war es der Jazz? Oder gar etwas ganz anderes? Na, wie auch immer. Er tut es einfach. Nicht laut, dafür aber unheimlich charmant und seicht. Und trotzdem kommt man ins Schwitzen. Hach ja. EINFACH SUPER.

Am Ende gab´s wieder die obligatorische Autogrammstunde und meine Begleitung hat Recht wenn er sagt, "Langsam sind wir ein eingespieltes Team." Oh ja. Das sind wir. Wir haben natürlich feinste Schriftzüge auf edelsten Papieren und passende Fotos obendrein.

Ich denke, für einen ersten Eindruck sind das genug Worte. :-) Ich bin mir sicher ein ausführlicher Bericht liegt spätestens morgen früh gegen 10 Uhr hier darnieder und beschreibt die Schönheit des Abends und, was ja viel wichtiger ist, die Künstler ausführlich und mit gewohnter Leichtfertigkeit. :-)

Ich freu mich. Liebe Grüße Euch allen, Mescha

PS.: Achso. Und Fotos gibt´s ganz sicher auch.

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#2

RE: an einem schönen Maiabend im Dresdner Norden - THE BLUES BAND

in Off-Topic 17.05.2010 17:32
von HH aus EE (gelöscht)
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Paul Jones, The Blues Band und der Spaß am Blues

Als sich Mitte der 60er die Britische Beat-Invasion auch in Deutschland wie ein reinigendes Gewitter über der Musik- und Radiolandschaft austobte, war ich Teenager und niemand hätte mir die Musik der Beatles, Stones, Kinks oder Who abspenstig machen können. Der Virus hatte sich bei mir schon festgesetzt, ich war infiziert, Heilung unmöglich und unerwünscht.
Immer Neues und Überraschendes war aus dem (West)Radio zu hören. Eine Mauer im Äther existierte nicht. Vieles davon hat sich bei mir in den Erinnerungen festgefressen und in die Matrix der Hirnmasse eingebrannt, so dass ich es heute noch aus dem Stand nachsingen könnte: „Do Wha Diddy“ von MANFRED MANN war so ein Gassenhauer im Stile von „Don’t Ha Ha“ (Casey Jones) oder auch „Wooly Bully“ (Sam The Sham). Doch MANFRED MANN hatte auch Songs wie „Pretty Flamingo“, der dem damaligen Zeitgeist perfekt entsprach und den gut und gerne auch BOB DYLAN hätte schreiben können. Gesungen hat diesen Song PAUL JONES und als die Band mit diesem Sänger Erfolge verbuchte, stieg der aus, um sich eine Solo-Karriere aufzubauen.

Im Jahre 1969 kam dann aus England der Film „Privilege“ in die Kinos der kleinen DDR und ich war einer von denen, die den Film schon allein deshalb mehrmals sahen, weil darin PAUL JONES als Steve Shorter dieses bewegende „Set me Free“ („Free Me“) sang. Wir haben, Jungs wie Mädels gleichermaßen, bergeweise Taschentücher voll geflennt und sind zur KLAUS RENFT COMBO gegangen, um diesen Song live zu hören, den damals in beeindruckender Weise Hans-Jürgen Beyer sang.
Der Film „Privilege“ war und ist in meiner Generation Kult. Die Platte hab’ ich mir damals als EP schicken lassen und erst mit den Zeiten von YouTube war es mir möglich, mal wieder ein paar Ausschnitte daraus sehen zu können. Inzwischen gibt es wohl auch eine DVD der englischen Originalfassung irgendwo im Handel.

PAUL JONES hab’ ich danach aus den Augen verloren, auch, weil Manfred Mann mit seiner EARTH BAND eine Musik fabrizierte, die mir inzwischen zeitgemäßer erschien. Erst als die ehemaligen Bandmitglieder von Manfred Mann, TOM McGUINNES und HUGHIE FLINT mit ihre Band McGUINNES FLINT und dem Song „When I’m Dead And Gone“ erfolgreich waren, kam bei mir auch PAUL JONES wieder vor, denn gemeinsam gründeten die drei 1979 ihr eigenes Projekt – THE BLUES BAND war geboren. Inzwischen liegt auch dieses Ereignis mehr als 30 Jahre zurück, die Band ist auf Jubiläumstour, und ich frage mich, wo nur all die Jahre geblieben sind.

Manchmal läuft man an einem solchen Abend jemanden über den Weg, den man schon ewig nicht mehr sah. Vor dem Konzert der BLUES BAND erhielt ein junges Gitarrenduo die Chance, sich den Anwesenden zu präsentieren. RAW ACOUSTIC machten ihre Sache wirklich gut, überzeugten mit einem Set eigener Songs, von denen mir „Desert“ und „The Bright Side“ am besten gefielen. Doch auch ihre Version des Box Tops – Klassikers „The Letter“, ganz am Schluss gespielt, zeigte, dass sich Gregor Arndt & Alex Müller auch bestens mit den Klassikern auskennen und es verstehen, ihnen ihr eigenes Gefühl zu übertragen.
Das schöne für mich daran ist die Tatsache, dass der Vater von Gregor in den 70er und 80er Jahren zu den Strammgästen der „STUBE“ in Elsterwerda zählte und beinahe alle unserer Rock-Konzerte erlebt hat. Auch das war gestern Abend wieder mal und ungeplant Thema. Verdammt noch einmal, wo sind denn nun wirklich all diese Jahre geblieben?

Diese Jahre stehen in unseren Gesichtern geschrieben. Ein Blick in den Spiegel bestätigt diese Annahme und der Blick nach oben, zu den Herren der BLUES BAND ebenso. Doch noch immer ist der Ausdruck von Spaß und Neugier bei JONES, McGUINESS oder KELLY zu sehen und aus den Augen blitzt der Schalk, auch wenn sie inzwischen vielleicht ein wenig mehr Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen. Kein Wunder, wenn man mal bedenkt, welche Bandnamen in den Geschichten dieser fünf Herren verborgen sind und was sich da an Geschichte zusammengeballt hat.

Dann stehen sie, so gegen 21.°° Uhr, auf der Bühne der „Tante Ju“ und ohne diesen Glanz der Jahre vor sich her zu tragen, greifen sie in die Saiten und der Mann mit der hellen Hose und dem grauen Jackett lässt die Mundi den Blues schluchzen . Von diesem Moment an ist alles im Raum Blues, die Luft, der Geruch und die Gesichter der hinter mir Stehenden. Der Blues beginnt zu stampfen, wühlt sich in die Körper und lockt sie nach vorn, obgleich das Stück „Going Home“ heißt. Aber spätestens bei „Steping Out“ ist dieses Gedankenspiel schon wieder vergessen.

Was ebenfalls sehr angenehm auffällt, sind die fehlenden „Hallo Dresden“- und „Alles gut?“ – Rufe, die man meist zu hören bekommt. Statt dessen plaudert PAUL JONES völlig ungezwungen und locker drauflos, kokettiert mit seiner Vergangenheit und der seiner Bandkollegen, um daraus zwischen den Songs kleine Geschichten zu basteln. So die von Little Johnny Taylor und seinem Song „If You Love Me Like You Do“, den er charmant für seine Fans in der Halle umdeutet. Der Mann ist ein Entertainer vor dem Herrn, eine Kultfigur ohne Allüren und eine schlanke knackige Gestalt von Mann - Geburtsjahr 1942(!!) -, dass man(n) vor Neid erblassen möchte, was im Dunkel zum Glück keiner erkennen kann. Meine Fresse!

Doch der Typ da vorn ist nicht der Frontmann, sondern Bandmitglied und das merkt man immer dann, wenn er mit der Mundi nach hinten tritt, um einen der anderen aus der historischen Herren-Riege das Mikrofon zu überlassen. In der rechten Bühnenecke stehend widmet sich TOM McGUINNES einem wirklichen Klassiker des Blues, den einst SLIM HARPO schrieb, die ROLLING STONES berühmt machten und den jeder Blues-Mann wenigstens ein Mal im Leben gesungen haben sollte – „King Bee“. Der Mann, der einst eine Hälfte von McGUNNNES FLINT war, macht das mit einer lächelnden Leichtigkeit, die ist erstaunlich. Dazu lässt er seine Gitarre jammern und die Freude steht ihm dabei ins Gesicht geschrieben.
An der linken Bühnenseite, direkt vor mir, steht DAVE KELLY, einer der besten Slide-Gitarristen Englands, was er mehrfach, dezent im Hintergrund stehend oder sitzend, unter Beweis stellt. Wenn er dann selbst, wie beim „Down Home Blues“, singend vor dem Mikro steht und seine Finger über die Saiten tanzen lässt, scheint der kleine Mann förmlich zu bersten.

Der Typ mit dem Bass, GARY FLETCHER, machte anfangs den Eindruck, als gehöre er gar nicht auf die Bühne oder zur Band. In sich versunken, beinahe an seine Bass-Box gelehnt, fließen die Blues-Läufe aus den dicken Saiten und nur manchmal, wenn man nicht mehr damit rechnet, klatscht er dir so ein paar Salven ins Gesicht und grinst dabei wie ein Lausbub. Vor dem Mikro ist er dann plötzlich ein Blues-Sänger mit einem Timbre, das einen umhaut. „Sign Me A Paper“ ist so eine ruppige Nummer und man spürt förmlich, wie die Basstöne, die er fabriziert, den Raum zum schwingen bringen.
ROB TOWNSEND am Schlagzeug ist ein „alter“ Haase und machte schon bei FAMILY und dort für ROGER CHAPMAN, Ende der 60er und Anfang der 70er, den wilden Rhythmus zum Blues. Dieses „Wildsein“ hatte er gestern gut versteckt, aber der Rhythmus-Mann schaffte es auch sparsam, dezent und mit viel Feingefühl, den Blues ganz dicht zu stricken.

THE BLUES BAND kommt völlig ohne Show, ohne Lichterflackern und ohne Posen aus. PAUL JONES ist Geschichtenerzähler und Sänger pur. Auf der Bühne geschieht Spaß und Lebensfreude und Musik bzw. Blues ist nur Ausdruck dessen, so eine Art Medium der Band, um uns alle damit anzustecken, Freude zu vermitteln und auch schon mal kräftig auszuteilen. So hätte „Maggie’s Farm“ (Bob Dylan) gestern auch gut und gerne eine neue Textzeile haben können, die ich wahrhaftig gern mitgesungen hätte: „ I Ain’t Gonna Work On Angie’s Farm No More“!

Bei mir jedenfalls und meinem Sohn hat das mit dem Anstecken und Freude übertragen geklappt. Meine Zipperlein waren (vorerst) verschwunden und mein Spross hatte wieder mal dieses staunenden Grinsen im Gesicht – na klar, Robby Williams ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Einen Hauch der Möglichkeiten hat THE BLUES BAND aber gestern in Dresden gelassen, denn die Faszination von „simply the blues“ ist noch immer ein gutes Mittel, die Sorgen für einen Moment „far away“ zu lassen und statt dessen mit den alten Haudegen gemeinsam „Let The Good Times Roll“ anzustimmen.

So manche Band, die ich in den vergangenen Jahren erleben durfte, hat exzellent Musik gemacht und technisch hervorragend gespielt, die Konzerte waren gut besucht und die Show perfekt bis ins Detail. Gestern ist mir mal wieder aufgefallen, dass dies alles nichts ist, wenn die Botschaft nicht lebt und das Lachen im Gesicht, die Gesten und Posen ein Teil der Show sind, beliebig abruf- und wiederholbar. Wenn es also einen Unterschied geben sollte, dann ist es dieser: „What the hell is a set-list?“. THE BLUES BAND spielt den Blues so spontan, wie das Leben ist und irgendwann, so gegen Ende des Abends, zitierte der Mann mit der Mundi dann auch für einen Augenblick den „Pretty Flamingo“.
So einen Haufen Spielfreude, ansteckendes Lachen und gelebte Herzlichkeit hab’ ich von einer Bühne runter und danach mitten unter den Fans erst kürzlich, an gleicher Stelle, bei TEN YEARS AFTER erlebt! Der Blues geht ins Blut, die Botschaft ins Hirn und das Gefühl ins Herz. In den nächsten Wochen werde ich wohl gegen Vulkanasche, Ölteppiche, Haushaltsdebatten, Steuerbetrug und Politikerlügen immun sein, dem BLUES und der BAND sei DANK.

Wenn mir jemand 1969 nach dem Besuch des Filmes „Privilege“ prophezeit hätte, dass ich 40 Jahre später diesen PAUL JONES live auf einer Bühne erleben, ihn persönlich um ein Autogramm auf das DEFA-Filmprogramm von damals bitten und mich mit ihm fotografieren lassen würde, den hätte ich wahrscheinlich gefragt, ob er denn diese hohe und lange Mauer in Berlin übersehen habe. Nun gut, das mit der Mauer hat sich inzwischen erledigt, weil es das Volks wollte und die Politik dazu nicht in der Lage war.
Das mit all den anderem Wünschen hab’ ich gestern bei einem stets freundlichen PAUL JONES, TOM McGUINNES, GARY FLETCHER, DAVE KELLY und ROB TOWNSEND auch erledigt. Wie sang doch Bob Dylan gleich? Richtig: „The Times They Are A-Changing“ - ein Dummkopf, wer nicht endlich drüber nachdenkt!


http://www.thebluesband.com
http://www.myspace.com/rawacoustic

Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 18.05.2010 07:44 | nach oben springen

#3

RE: an einem schönen Maiabend im Dresdner Norden - THE BLUES BAND

in Off-Topic 18.05.2010 04:35
von Kundi (gelöscht)
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Meschas nächtliche Eindrücke hatten mich gestern morgen schon fasziniert und neugierig auf mehr gemacht und
ich war gespannt, was aus EE dazu noch kommen würde...

Großartige Musiker, toller Veranstaltungsort und Hartmuts Bericht ist wieder vom Allerfeinsten.So wie die Musiker Seele in den Blues legen, tut es HH in seinen Berichten.
Wenn es von mir überhaupt was zu kritisieren gibt, dann nur, das dieses Konzert an einem Sonntag statt gefunden hat;-).

LG Kundi

zuletzt bearbeitet 18.05.2010 04:38 | nach oben springen

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