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KLAUS LENZ MODERN-JAZZ-BIG-BAND - Tour-Finale in Leipzig

in Konzertberichte Ostrock allgemein 25.10.2010 18:51
von HH aus EE (gelöscht)
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Der LENZ war da – noch einmal und zum letzten Mal

Der LENZ ist noch einmal gekommen, auch wenn es draußen schon Herbst ist und der frische Wind bei kaltem Sonnenschein durch die Klamotten dringt. Der LENZ ist mit seinen 70 Lenzen noch einmal angereist und hat seine MODERN-JAZZ-BIG-BAND mitgebracht, um die Töne tanzen zu lassen.
So wie KLAUS LENZ schon in seinen erfolgreichen DDR-Zeiten mit ständig neuen Gesichtern und also ständig wechselnden Besetzungen auf der Bühne stand, konnte man sich in diesem, seinem Jubiläumsjahr 2010, noch einmal an die alten Zeiten in neu arrangierten Klanggewändern erinnern. Dank eines unermüdlichen Bernd Ganßauge mit seiner „Privaten Initiative für Wurzen e.V.“ aus Wurzen stand die KLAUS LENZ MODERN-JAZZ-BIG-BAND im Leipziger RING-CAFE live-haftig am 24. Oktober auf der Bühne, so dass die in die Jahre gekommenen und auch die jüngeren Fans anno 2010 eine Chance bekamen, den Jazz-Pionier und Ur-Musikanten mit seinem Klangkörper und Solisten zu erleben.

Einige, die er auf seinem Weg aus den Kinderschuhen auf das nationale und
auch internationale Sprungbrett verhalf, sind heute selbst Große der Szene. Sie alle mit auf die Bühne zu bringen, hätte man sich als Fan durchaus gewünscht, ist aber schon ob der großen Anzahl gar nicht möglich. Allein der Klang ihrer Namen ist Musik: Günther Fischer, Hennig Protzmann, Sieghardt Schubert, Reinhard Lakomy, Ulrich Gumpert, Horst Krüger und auch Manfred Krug sang dereinst mit dem LENZ-Orchester. Doch es geht nun mal nicht alles und die Musiker, die als BIG BAND auf der Bühne im RING-CAFE zu Leipzig stehen, lassen keinen einzigen Wunsch offen.

Als ich damals 1970 die LP „Lenz für Fenz“ kaufte, gab es schon so ein Gefühl, etwas besonderes erstanden zu haben. Bestätigt hat sich das für mich zwei, drei Jahre später, als 1972/73 die beiden Tourneen liefen und ich etwas davon im Sächsischen Riesa, oder war es doch Großenhain, abbekam. Die Tour 1972 mit USCHI BRÜNING und der KLAUS LENZ BAND war ein voller Erfolg und schon damals stand im Flyer geschrieben: „Viele wichtige DDR-Musiker kommen aus seiner Band und für so manches, was heute reiche Früchte bringt, hat er einmal die Saat gelegt.“
Ein Jahr später tourte die KLAUS LENZ & MODERN SOUL BIG BAND mit den unvergessenen WERNER „Josch“ SELLHORN sowie KLAUS NOWODWORSKI durch die Republik und setzte neue Maßstäbe. Der Rest der Geschichte ist wohl jedem Musikliebhaber hierzulande bekannt und der spätere Restaurator LENZ hatte in den Jahren danach nie wieder einen Gedanken an Musik verschwendet und seine Trompete in die berühmte Ecke gestellt. Die Entscheidung war eine endgültige – dachte er.

Nun fahre ich also fast 40 Jahre später wieder zu einem Konzert, die alten und originalen Fan-Teile von damals wieder im Beutel, und freue mich wie ein kleiner Junge auf den Abend in Leipzig und auf das, was mich dort erwartet. Gegenüber dem RING-CAFE das Uni-Hochhaus und zwischen den Lichtern der beiden Gebäude in unterschiedlichen Bau-Stilen hetzen im abendlichen Dämmerlicht Autoscheinwerfer und Trams über den Ring.

Im unteren Foyer-Bereich weist ein überdimensionales Foto aus jenen frühen Jahren darauf hin, dass es heute eine Zeitsprung zu bewältigen gilt und wer möchte, kann bei den liebevoll dargebotenen Souvenirs und Re-Prints zugreifen und mit ihnen in der Tasche, die weit geschwungene Treppe nach oben begehen. Der liebevoll und stilecht gepflegte Saal in der ersten Etage bietet ein ideales Ambiente für den Abend und der Großmeister des Modern-Jazz und sachkundige Spezialist wird genau diesen Umstand mehrmals erwähnen und sich dabei an alte Zeiten erinnern.

Gleich zu Beginn bekommen wir ein Gefühl dafür, wohin die Reise in den nächsten reichlich zwei Stunden gehen wird. „Afternoon in Berlin“ von 1963, das ursprünglich mal „Sonntag Nachmittag in Berlin“ heißen musste, entführt zurück in die Jahre, als dieser Klang, die Vermischung von Jazz, Beat & Blues, progressiv genannt wurde. Das Teil swingt und klingt, als wäre es erst an diesem Vormittag entstanden und die Soli von CHRISTIAN MAYERS (fh) und ERNST-LUDWIG „Luten“ PETROWSKI (as) lassen die in der Musik lebende Großstadthektik erahnen.
Es folgen mit „ A Little Tune For Eric“ (Lenz: „Keine Hommage an Honni.“) und „Shiny Skins“ zwei weitere Instrumentals, die LENZ zu einem verschmelzen lässt. Außerdem die alte Horace Silver – Nummer „Peace“, neu arrangiert und mit ein paar feinen Piano-Tupfern von WOLFGANG FIEDLER versehen.

Zum ersten Gesangspart ruft LENZ „olle“ HANSI KLEMM auf die Bühne. Den hatte ich aus FUSION-Zeiten und bei MONDIE noch gänzlich anders in Erinnerung, aber eine fehlende Haarpracht tut einer geilen Soul-Stimme keinen Abbruch. „I Love The Life I Live“ klingt frisch und fetzig und KLEMM’s Stimme röhrt und schluchzt und beim Ray Charles – Klassiker „Georgia (On My Mind)“ schwingt sie sich auf den dezenten Bläserparts der Band sanft über den Klangteppich.

Zwischen den einzelnen Stücken ist es der Meister selbst, der immer wieder locker und humorvoll Geschichten aus vergangenen Zeiten, passend zur jeweiligen Musik, zu erzählen weiß. Egal, ob er darauf verweist, dass man ( Hansi Klemm) eigentlich an der Lahn nicht zu Hause sein könne, oder ob das Zimmer der Gerichtssekretärin (Uschi Brüning) tatsächlich verstaubt war. Nur „Luten“ PETROWSKI mit seinem trockenen Humor ergänzt den Bandleader manchmal spontan.
Der Saal, vor allem die Leipziger in ihm, tobt, als LENZ dann USCHI BRÜNING angekündigt. Ich hatte „Higher“ schon Ewigkeiten nicht mehr gehört, um so mehr fasziniert bin ich, mit welcher Leichtigkeit sie mit ihrem Gesang Stufe um Stufe zu luftigen Höhen erklimmt und dort oben noch immer schneidend scharf die Luft zum Zittern bringt. Mann oh Mann, hat das Weib eine Stimme! Den folgenden „Blues für L.“ widmet sie demjenigen, der im Orchester dem Altsaxophon auf seine unnachahmliche Weise Töne entlockt, die man einem solchen Instrument nicht zutrauen will.

Vor einer kurzen Pause erklingt ein alter und vertrackter Jazz-Standard. Bei „A Night In Tunesai“, von Dizzy Gillespie geschrieben, greift auch der Altmeister zum Instrument, um in seiner ureigenen unnachahmlichen Pose die Töne in den Saal zu schmettern. Leider sitze ich genau vor einem der Notenständer und so kann ich das swingende Solo des Schlagzeugers TOBIAS BACKHAUS, dem „Spezialisten für das Lockermachen der Töne“ (Lenz), nur erahnen, das er mit der „Serenade Mysterioso“ von Hubert Katzenbeisser hinter der Sichtblende abliefert.

Der zweite Teil des Abend wird mit einem Feuerwerk der Bläser eröffnet. „The Preacher“ ruft die Solisten auf die Bühne, die, jeder vorsichtig über Kabel steigend und an Ständern vorbei schleichend, ihr Können und Musikalität mit Saxophon, Posaune sowie mit Trompete zeigen und dafür euphorischen Zwischenapplaus bekommen. Der LENZ am Pult tritt dabei jedes Mal bescheiden zur Seite und genießt ebenfalls, an das Beleuchtungsgerüst gelehnt, die solistischen Darbietungen. USCHI BRÜHNING zelebriert, sich leidenschaftlich steigernd, den „Reverend Lee“ und HANSI KLEMM darf nochmals „hochgestochenes Zeugs“ (Lenz) darbieten, das eben nur aus Amerika kommen kann.
Aus den USA kamen die Vorbilder Blood, Sweat & Tears“, die „solch hochgestochenes Zeugs“ schrieben und in Europa gab es nur wenige, die es spielen konnten. „Wir konnten es“, sagt LENZ genüsslich und lässt mit seinen Mannen dann auf „God Bless The Child“ auch prompt „Spinning Wheel“, mit dem berühmten „Jahrmarktstrubel“ am Ende folgen.

Der Abend nähert sich unweigerlich seinem Höhepunkt, als nach dem „Stormy Monday Blues“ sich die Musiker bei „Love Fiesta“ von Chick Corea noch einmal so richtig austoben und all ihr Können miteinander verweben können. Sehr emotional der Moment, als KLAUS LENZ letztmalig das Wort ergreift, sich bei den Anwesenden und Angereisten bedankt und Worte des Lobes für den Initiator und Organisator BERND GANßAUGE mit seinem Team findet. Der steht bescheiden am Rand, sichtlich überglücklich und den Tränen nah. Zum Finale holt LENZ ihn und seine Mannen & Frauen auf die Bühne, um gemeinsam mit uns die Hymne der Hymnen zu singen: „Hi-De-Ho, Hi-De-Hi, gonna get me a piece of the sky“ …. Oh ja, an diesem Abend hatten wir alle ein Stück vom Himmel und ich hab’ meines mit nach Hause genommen!

Es gab Standing Ovations, Pfiffe und Bravo-Rufe für eine Band, die es so, auch von der Idee her, nie wieder geben wird, meinte KLAUS LENZ ganz zum Schluss und das klang sehr endgültig. Es ist aber auch verdammt schade und traurig zugleich, denn ich sehe nicht viele Bands und Künstler dieses Landes am Horizont, die zeigen könnte, wohin die Reise, außer zum Kommerz, in der Zukunft noch gehen könnte. So viel Pioniergeist und Entdeckerfreude wie dereinst „olle Lenz“ legen heute nur noch wenige an den Tag, denn es ist noch immer unbequem und beschwerlich, eingefahrene Gleise zu verlassen und neue Pfade durch hohes Gras zu treten. Dass es zu machen geht, hat dieser Mann gezeigt und der Erfolg ist Jahrzehnte später noch immer beinahe mit Händen zu fassen. Der LENZ war da und ich war dabei. Aber so ein LENZ, flüsterte gestern eine der begleitenden Damen, könnte ja vielleicht …. und man weiß ja sowieso nie so ganz genau…

Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 25.10.2010 19:58 | nach oben springen

#2

RE: KLAUS LENZ MODERN-JAZZ-BIG-BAND - Tour-Finale in Leipzig

in Konzertberichte Ostrock allgemein 26.10.2010 19:57
von PM | 4.235 Beiträge | 5060 Punkte

Man könnte eigentlich die Beiträge von Hartmut unter Weiterbildung abbuchen. Ist das dann von der Steuer absetzbar?


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