#1

Wind Sand und Sterne oder wie der Beat ins Erzgebirge kam

in Konzertberichte Ostrock allgemein 17.04.2011 16:58
von PM | 4.235 Beiträge | 5060 Punkte

Wenn man seit 5 Jahren Wochenende für Wochenende unterwegs ist, in Sachen Ostrock, gibt es eigentlich nicht mehr viel, über das man sich wundern kann.
Gestern Abend hab ich die abgefahrenste Location erlebt, die ich je gesehen habe und eine tolle Band und ein enthusiastisches Publikum dazu. Hoffe, ich langweile euch nicht mit den Zusammenhängen – aber nur die fügen ein Puzzleteil ans andere.

Es war im März 2007, ich stand vor der Tür des Tivolis in Freiberg und wartete auf den Einlass zu einem Konzert von Renft und Cäsar.
Um sich nicht zu langweilen, kommt man schnell mit umstehenden Fans ins Gespräch und es wird erörtert, welche Konzertbesuche anstehen. Ein Renft Fan fragte mich, ob ich schon mal bei Wind Sand und Sterne war. Das sagte mir nichts und er lächelte milde. Wenn du aus der Gegend bist, musst du doch Satori kennen? Damit konnte ich dienen, irgendwo, ganz verschüttet, gab es da Erinnerungen an meine Jugend. Ich hatte noch das Glück, die Zeit zu erleben, wo noch richtige Bands auf den Gasthofsälen spielten, ehe die Konservenaufmacher an die Macht kamen.
Und dann sah ich mich, 17 jährig, kniend auf einem Dorfgasthofsaal – bei Satori. Ein richtiges Bild von der Band war in meinen Gedächtnis nicht mehr zu reaktivieren, aber ich wusste noch, dass sie in Berbersdorf und Merzdorf gespielt haben und die angesagteste Band in der Zeit so zwischen 1970 -73 im Bezirk Karl- Marx-Stadt waren.

Viel Zeit musste vergehen, bis ich bei dem Glauchauer Fotograf Schaller Clips auf seiner YouTube Seite von Wind Sand & Sterne fand, der Band, die unter anderem aus Mitgliedern von Satori und den Wanderern besteht.

Und dann erhielt ich eine Einladung in die Nähe von Mittweida, wo die Band Wind Sand & Sterne spielen sollte.
Es war eine private Veranstaltung in einer Schmiede. Vorgestellt hatte ich mir einige wenige Hanseln in einer Kneipe, die als Schmiede umdekoriert ist. Es war aber wieder einmal alles ganz anders.
Die Schmiede war eine wirkliche Arbeitsstätte, die man mal einfach so zu einer Konzerthalle gemacht hatte und dies nicht das erste Mal. Jährlich findet dort auf Einladung ein Event statt. Der Hobbyschmied, der im wirklichen Leben am gleichen Material schmiedet, wie die Schreiberin, hat die Lage dort voll im Griff.
Es gab eine exklusive Versorgung mit Mutzbraten und Roster brutzelten auf dem Schmiedefeuer vor sich hin. Der begehrteste Platz war der auf dem Amboss.

Die Band Wind Sand & Sterne, das sind Michael Barth (Satori, Wanderer) Christoph Rottloff, unter anderem an der Konzertina, Hans–Rudolf Lippold am Schlagzeug, Thorsten Reuter und der Frontmann Stefan Gerlach (auch von Satori), der neben der Gitarre auch eine vorzügliche Mundharmonika spielt. Sie waren nicht das erste Mal dort, man kannte sich, und die Band hatte im Schlepptau beinharte Fans. Die vielen Leute wuselten nur so rum in der Schmiede, es war nicht nur ein Konzert, es war eine Party wie man sie selten erlebt. Nach dem zweiten Titel wurde getanzt.

Es war wie früher, Beginn um Acht und dann wurde in Runden gespielt bis nach Zwölf. Dies förderte die Kommunikation zwischen Band und Zuschauern, der Gerlach Stef hatte für alle ein offenes Ohr und gab viele Schwänke zum Besten.
Musikalisch passen sie einfach in gar keine Schublade. Ihre Passion ist der Folk Rock, und das in Mundart. Ihre eigenen Titel singen sie in einem erzgebirgisch - vogtländischen Dialekt, der sich der perfekt sächsisch sprechenden Schreiberin nur schwer erschließt. Sie stammen aus dem Landstrich, wo de Hasen Hosen hußen…
Als sie von de Spackfatbam gesungen haben, war ich grad essen fassen um mein Blick fiel auf die Speckfettbemmen und da fiel auch schon der Groschen…

Das, was ich textlich trotz Sprachbarriere erfassen konnte, hat mich sehr berührt. Heimatverbunden, an den Problemen der Zeit und volkstümlich ohne volksdümmlich zu sein sowie musikalisch ausgesprochen rockig. Bei ihren Folk Songs aus dem Erzgebirge kamen Akkordeon und Konzertina zum Einsatz, was den Liedern viel Authentizität verlieh.
„Wos is hier los“ und „Zeit geht vorbei“ sind meine Favoriten.

Ansonsten bedienen sie sich noch aus der internationalen Folk Rock Kiste und knüpfen damit an die Satori Zeiten an. Mit diesen Sachen punkteten sie beim Publikum, Stimmung vom Feinsten von Anfang bis Ende. Jede Band sagt gern das, was das Publikum hören will wie: Mit euch hat es uns am meisten Spaß gemacht…, nur Stefan Gerlach hab ich das zum gestrigen Gig auch abgenommen.

Eigentlich gehöre ich nicht zur Sparte der Jäger und Sammler in der Szene, eine kleine Leidenschaft hab ich trotzdem. Ich sammle Narzissen und Ostrockbücher.
Deshalb wurde ich hellhörig, als ich las, dass Stefan Gerlach in einem Buch seine Erinnerungen verewigt hat und das Buch wurde im Vorfeld beim Autor bestellt.
Es heißt „In meiner Spur – Als der Beat ins Erzgebirge und Vogtland kam“. Dort legte der Schreiber seine Erinnerungen aus der Jugendzeit sehr anschaulich dar. Man will es nicht glauben, wenn man Stefan Gerlach auf der Bühne agieren sieht, er hat bald 50-jähriges Bühnenjubiläum und deshalb natürlich ganz viel zu erzählen. Aber das Buch beschäftigt sich nur mit seinen frühen Jahren bis zum Jahr 1969. Es ist ein Zeitdokument, toll geschrieben und für so manchen Leser wird die Jugendzeit wieder lebendig. Denke aber, einen Bezug zur Zeit und zum Thema muss man mitbringen. Das Werk ist interessant aufgemacht und hat ein ungewöhnliches Format.
Es ist ein weiteres Buch in Arbeit, was sich mit der Kultband Satori beschäftigt, was zu 80% fertig ist. Darauf bin ich natürlich ganz besonders gespannt, denn das war genau meine Zeit und sie haben ja oft hier in der Gegend gespielt.

Nun schiebe ich das letzte Puzzleteil ein, nämlich wie ich zu der Einladung zu dem privaten Gig gekommen bin.
Mein Sohn wollte eines Tages wissen, wer Rio Reiser ist. Mutter ging in die Spur und wir lernten die Band Wunderbuntd kennen, die sich unter anderem mit der Erbepflege beschäftigt. An einer anderen Ecke unseres Landkreises gab es einen Vater, der seine Tochter musikalisch ordentlich erzog und ab und zu in einer Schmiede die Band Wunderbuntd spielen ließ.
Es kam, wie es kommen musste, vor einer Bühne in Freiberg bei Wunderbuntd hat es gefunkt und man zog zusammen. Nun ist in unserer Familie eine Verrückte mehr, als ich den Veranstalter gestern kennen lernte dacht ich so: die ist wirklich nicht von schlechten Eltern.

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zuletzt bearbeitet 17.04.2011 17:11 | nach oben springen

#2

RE: Wind Sand und Sterne oder wie der Beat ins Erzgebirge kam

in Konzertberichte Ostrock allgemein 17.04.2011 17:54
von axel (gelöscht)
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wunderschöner bericht, wird zeit, dass ich auchmal mehr "fremd" gehen werde.
aber warum schreibe ich hier dazu. mehrere bezugspunkte gibt es da zu mir. an besagtem tag lernte ich petra und kundi im tivoli kennen.
somit haben wir unseren 5. jahrestag! prost! nein, petra trank wasser, nur der kundi ein "dunkel".
als ich den bericht las, wusste ich spontan, wer petra den tipp gegeben hat. richtig, er ist auch unter den zuschauern in der schmiede zu sehen.
hab ich recht?
fazit: renft ist immer eine reise wert. die fans sind tolerant, haben meistens einen guten musikgeschmack und geben gerne, gute tipps.
manchmal beneide ich euch um eure vielseitigkeit, beim musikkonsum.
na, nächste woche bin ich vielleicht wieder gesund und werde wieder angreifen.

wir sehn uns, freunde!

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#3

RE: Wind Sand und Sterne oder wie der Beat ins Erzgebirge kam

in Konzertberichte Ostrock allgemein 18.04.2011 18:40
von PM | 4.235 Beiträge | 5060 Punkte

Hallo Axel, der einzige Mensch, der mir da bekannt vor kam, war tatsächlich ein Renftfan. War aber nicht der, der mir den Tipp gegeben hatte. Übrigens beschreibt Stefan Gerlach in seinem Buch auch ein Konzert des Renft Vorläufers, der Butlers.
Einen Clip hab ich auch - nur diesmal schlechter Ton. Hab auch eine glaubhafte Ausrede - war ein unglaublicher Tumult da- Stimmung von der ersten Minute an.

http://www.youtube.com/watch?v=WosJQo0YcRA


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#4

RE: Wind Sand und Sterne oder wie der Beat ins Erzgebirge kam

in Konzertberichte Ostrock allgemein 18.04.2011 21:10
von Kundi (gelöscht)
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Wirklich eine spannende Geschichte, liebe Petra.
Jede Zeit und jede Region hatte damals seine musikalischen Helden.
Bei euch war es Satori. Hier in der Gegend war es zu meiner Zeit die Honky Tonky Band. Die füllten Säle und wenn sie dann zu vorgerückter Stunde den Udo L. spielten, tobten die Leute. Seit dem sind Jahrzehnte vergangen. Ich kann manchmal selbst kaum glauben, dass ich mittlerweile schon über 30 Jahre um die Häuser ziehe. Wie es aussieht und wie es sich anfühlt, hält das aber jung im Geist und im Herzen.

Bei dem Mundart-Gesang von Wind Sand und Sterne hätte ich garantiert noch viel mehr Probleme als Du gehabt, die Texte zu verstehen.

LG Kundi

zuletzt bearbeitet 18.04.2011 21:10 | nach oben springen

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