Lieder, Limericks, Tamara, Daggi und ein Hund - MTS live 1978
Lieder, Limericks, Tamara, Daggi und ein Hund - MTS live 1978
in Konzertberichte Ostrock allgemein 21.12.2009 19:06von HH aus EE (gelöscht)
Lieder, Limericks, Tamara, Daggi und ein Hund - MTS live 1978
Wir sind inzwischen ein einig Deutschland, ein Herz und zwei Seelen, und immer, wenn ich nicht weiß, ob ich darüber glücklich oder traurig sein soll, versuche ich, meine eigene Geschichte und die meiner Musik zu befragen.
Ein gemeinsames Land sind wir, weil der Mehrheit auf die Schnelle nichts besseres eingefallen ist und weil ein gemeinsames Aufregen über die gleiche Regierung dem Gefühl der Zusammengehörigkeit förderlich ist. So etwas nennt man seitdem auch revolutionär!
Die Seelen allerdings fühlen vielerorts noch immer sehr unterschiedlich, denn viele mussten vieles erst begreifen lernen. So etwa was eine GEZ ist oder was ein Ombudsmann kann und will. Andere wiederum können mir wortreich erklären, was FDJ* war und wie ich dort behandelt wurde, haben aber keine Ahnung, was zum Beispiel ein ABV* war und was LPG* oder gar MTS* bedeutet. Meist versucht der Große den Kleinen erst gar nicht zu verstehen oder gar auf ihn neugierig zu sein, sondern er beginnt umgehend zu belehren. Daraus kann man auch schlussfolgern, dass wir zwar ein Volk sind, aber eigentlich voneinander überhaupt keine Ahnung haben. Lasst mich also für einen Moment diesem Gefühl mit etwas Aufklärung in Sachen Musik und Humor begegnen und über eine Institution erzählen, die MTS * heißt und Teil des geteilten Volkes war und inzwischen dem vereinten Volk die Leviten liest und vorsingt.
In Elsterwerda gab es ein „Haus der Jungen Pioniere“* und wer meint, die armen Jungpioniere* wurden dort schon im frühen Kindesalter auf Parteilinie* getrimmt, war mindestens auf einem Auge blind. Es gab dort viele AG’s * und Zirkel* und ich habe dort als hauptamtlicher Kulturfunktionär * die Möglichkeit gehabt, viele Ideen für Veranstaltungen und Konzerte mit ehrenamtlichen Helfern zu verwirklichen. Der Antrieb hieß Lust und nicht etwa Parteibuch*. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals eine Idee „aufgebürdet“ bekam und selbst die Beethovenehrung hat mir einen Riesenspaß gemacht. Das mag anderen Ortes anders gewesen sein und Elsterwerda war nicht Berlin, dessen bin ich mir durchaus bewusst, aber wir waren damals schon nicht alle gleich oder wurden gar gleich behandelt.
Zur selben Zeit (1973) hatten sich in Berlin einige Musik- und Satirebegeisterte um den Sohn des Karikaturisten Erich Schmitt* zusammen gefunden. Gemeinsam wollten sie musizieren und sich dabei vor allem vom Leben in der größten DDR* und vom Volk inspirieren lassen, um ihm anschließend gehörig eins einzuschenken. Das machte die jungen Männer in anfangs
wechselnden Besetzungen schnell populär und vor allem beliebt. Zweideutiges Denken, Schreiben und Singen war schon immer ein herausragendes Merkmal eines gelernten DDR-Bürgers*.
Fernsehauftritte des Volkskunstkollektivs * MTS und eine erste Single mit der Ballade von den „10 bösen Autofahrern“ (1974) taten ihr übriges. Die ganze weite Welt der DDR zwischen Fichtelberg und Rügen stand den jungen Künstlern offen.
Das Kürzel MTS hatte mit der „ländlichen Technikeinrichtung“* nichts zu tun, sondern stand hintersinnig für MUT, TATENDRANG und SCHÖNHEIT, drei Dinge, die im Überlebenskampf des sozialistischen* Alltags durchaus förderlich sein konnten. Außerdem beschrieben sie sehr treffend den Gesamtzustand des „künstlerischen Kollektivs“* aus der Hauptstadt. Mir kam also wie von selbst die Idee, mit diesen drei Ulknudeln mal richtig abzulachen und gemeinsam mit anderen Spaß zu haben.
Am 23. November 1978 war es endlich soweit und das umgangssprachlich „Pionierhaus“* genannte Gebäude öffnete seine Türen für einen Abend mit der Gruppe MTS. Ich kann mich gut erinnern, dass der Saal gerammelt voll war, die Klappstühle nicht reichten und einige Besucher sich einfach auf die seitliche Podestkante gesetzt hatten. Der Abend mit Liedern, Reimen, Limericks, Anekdoten, Sprüchen und lauten Zwischenrufen konnte beginnen.
Auf der Bühne standen drei Mikrofonständer sowie ein alter Holzstuhl auf der rechten Seite für den Fuß von HERBERET TREICHEL, damit er seine Gitarre auf dem Oberschenkel besser ausbalancieren konnte. Das Mikrofon zur Linken stand für FRANK ENGELHARDT dort und mit dem in der Mitte spielte, sang und tanzte THOMAS SCHMITT. Zwischendurch überschüttete er die Anwesenden mit mehr oder weniger klugen Sprüchen und Limericks.
Natürlich begann unser Konzert ganz „schnuckelich“ mit „Ein Pferd wie du und ich“, einer Persiflage auf die Indianerfilme der DEFA * und auf diese Weise mit einem Griff in das quirlige DDR-Leben. Spätestens bei der „Ballade von Förster’s sensibler Tochter“ hatten die drei den Saal fest im Griff sowie die Lacher und Jodler auf ihrer Seite. Thomas Schmitt tänzelte zum Gaudi aller über die Bühne, eine Nummer, die er auch heute noch schafft.
Im Jahr 1978 ebenso wie heute machten sich Schmitt & Co. mit „Der schönste Platz ist an der Apotheke“ über den Medikamentengebrauch mancher Mitbürger lustig. Inzwischen kommt diese Nummer allerdings viel bissiger daher.
Gefeierte Höhepunkte sind bis in die Gegenwart „Tamara“ und natürlich die „10 bösen Autofahrer“, der Klassiker der drei Musikanten. Nach der Melodie einer bekannten russischen Volksweise tobten SCHMITT, TREICHEL und ENGELHARDT über die Bretter und probierten sich stilecht am Kasatschok*, um die Schönheit des russischen Mädchens namens Tamara* zu besingen. Das sind die seltenen Augenblicke, da ein bescheidener Bürger schon mal seine gute Kinderstube vergessen konnte und sich in russischer Sprache zu spontanen Äußerungen hinreißen ließ. Den Text kannte nahezu jeder auswendig und so mancher sang einfach lauthals mit.
Doch spätestens bei den „10 bösen Autofahrern“ konnte keiner mehr vor Lachen mitsingen. Dieses kleine Liedchen mit dem teilweise bissigen Texten ist auch heute noch immer ein Brüller und glänzt an manchen Stellen durch seinen schwarzen Humor. Natürlich gab es kein Konzert von MTS, zumindest nicht in jenen Tagen, ohne das „Liebeslied für Daggi“, das an Zweideutigkeiten keine Wünsche offen lässt und so etwas wie ein Markenzeichen war.
Ein Konzert mit MTS war und ist immer ein besonderes Erlebnis und wenn das Publikum sich traut, dann können auch schon mal die verbalen Fetzen fliegen und Dauerlachsalven zu Atemnot führen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Zum Glück!
Eine besondere Begebenheit aber wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Kurz vor Ende des Konzertes, wir waren schon im Zugabenteil, enterte plötzlich der Hund des Hausmeisters die Bühne und hätte den drei Herren beinahe die Show gestohlen. Doch die nutzten die Situation blitzschnell für sich aus und beendeten den Abend mit einem Hund auf dem Arm und stellten sich zu viert für ein eher seltenes Abschlussfoto, das ich mir wenig später, außer vom Hund, signieren ließ.
Humor und Satire sind Medizin, vor allem dann, wenn das Leben nicht immer jene Weg geht, die man sich zuweilen wünscht oder wenn es einem gar zu ernst oder zu chaotisch daher kommt. Mit Pillen kann ich dann meist wenig anfangen, aber Lachen über Dinge, Situationen oder mich selbst hilft fast immer, selbst dann, wenn einem das Lachen beim Vernehmen manch großer Leistungen aus deutschen Landen im Hals stecken bleibt.
Zu damaligen Zeiten im kleinen verschlossenen Land nahmen der Witz und stilvolle Frotzelei über „die da oben“ einen ganz besonderen Platz ein. So mancher, wie eben THOMAS SCHMITT oder auch sein Freund Hans „Knippe“ Knippenberg von POSSENSPIEL, hatten daraus ein abendfüllendes Konzertprogramm gebastelt und vielen einen humorvoll-satirischen Liederabend geschenkt. Bekanntermaßen gab es ja auch mal eine Sendung beim DFF*, die nannte sich „Medizin nach Noten“.
Inzwischen haben sich die Zeiten „gewendet“, der Stellenwert von Doppelsinn und bissigem Humor aber ist im „Deutschland eilig Vaterland“ wichtiger und (über)lebensnotwendiger denn je. Ein Schelm, wer dahinter eine Botschaft entdecken möchte.
* Ostdeutsches Fremdwortvokabular bzw. überlieferte alte Ossi-Geheim-Codes
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