SZ PRESSEARTIKEL VOM 27.09.
Tosender Beifall für Ostrock im Alten Teichhaus
Die „Hurensöhne“ und Hans die Geige zogen am Sonnabend in Ottendorf das Publikum in ihren Bann.
Enrico und Andre Schelzer – beide 39 Jahre – sind Zwillingsbrüder. Sie wuchsen in einem musikalischen Elternhaus in Aschersleben auf. Dass sie sich heute „Hurensöhne“ nennen, hat ausschließlich mit dem Titelsong der gleichnamigen Silly-LP tun.
Denn zu Ostrock haben beide eine ganz besondere Beziehung. „Mit dieser Musik sind wir aufgewachsen“, erzählen sie in der Pause nach einem langen Soundcheck vor dem Ostrockabend am Wochenende im Alten Teichhaus von Ottendorf-Okrilla. Hier wurden viele Titel des Abendprogramms liebevoll durchgespielt. Schon dabei spürte man ihre Faszination für all die Songs. Sie haben die Musik verinnerlicht. „Schwanenkönig“, „Gewitterregen“, „Der blaue Planet“ schnell merkte man: Karat scheint den „Hurensöhnen“ besonders zu liegen. Schon beim Soundcheck bekam man eine Gänsehaut.
Hommage an Tamara Danz
Als die Hurensöhne ihren Ostrockabend eröffneten, stand dieses Gefühl sofort wieder im Raum. Konzerte im Teichaus sind von einzigartiger Nähe. Hier ist der Sound stets perfekt. Und Textverständlichkeit ist in diesem Rock-Genre wichtig. Sie trägt Atmosphäre.
Wie gebannt hörten die Besucher „König der Welt“. Ein Lied, das Liebe als höchsten gemeinsamen Wert vieler jugendlicher Deutscher in Ost und West erfahrbar macht. Sänger Enrico Schelzer liegt die Stimmlage des viel zu früh verstorbenen Karat-Sängers Herbert Dreilich. Nur bei der Anmoderation zu diesem Song bebt seine Stimme. Für ein paar Sekunden wandte er sich vom Publikum ab. Auch dort rang mancher kurz mit Tränen. Herbert Dreilich ist unvergessen!
Titel mit Brisanz
Auch die verstorbene Silly Frontfrau Tamara Danz bekam ihre Hommage. Mit ihren Liedern eroberte sie Herz und Verstand ihrer Fans. Das macht sie unsterblich. „Am Fenster“ von City wurde wegen der starken lyrischen Akzente frenetisch geliebt. Dieser Song flog, wie es die letzte Textzeile sagt, durch die Welt. In den City-Titel „Wand an Wand“ wurde zu DDR-Zeiten viel Politisches hineininterpretiert – als Mauer-Metapher gedeutet oder als Beschreibung von Wohnungsproblemen. Wer wollte, sah darin auch ein wunderbares Liebeslied. Diese Songs wurden im Kalten Krieg geboren. Wer ihre Erstveröffentlichung miterlebte, hat das Gefühl für ihre Brisanz noch immer abrufbar. Autoren können sich nicht immer aussuchen, wie ihre Arbeiten verstanden werden… Auch die Musik der Puhdys hatte im Programm der Hurensöhne ihre Zeit. Aus dem riesigen Repertoire kamen Songs, die längst zu Ostrock- Standartwerken geworden sind. Das die einmalige „Birr-Stimme“ Stimmbänder fordert wurde im Konzert der „Hurensöhne“ deutlich.
Hans Wintoch, der bekannteste Rockgeiger der DDR, war Special-Guest dieser einzigartigen Veranstaltung. Als „Hans die Geige“ hat er in Ottendorf-Okrilla einen klaren Heimvorteil. Seine Interpretation des Dirk Michaelis Titels „Als ich fortging“ fand großen Beifall. Auch seine Kompositionen sind längst zu musikalischen Ikonen geworden.
Deutsches Kulturgut
„Im zwanzigsten Einheits-Jahr möchte ich diese Musik als ’Deutsches Kulturgut’ verstehen“, brachte es Teichhauswirt Eggi Proschmann auf den Punkt.
Zu diesem Zeitpunkt war der tosende Beifall gerade erst zu Ende gegangen.