BIG BEAT, frühe Legenden und ein ORIGINAL - die etwas andere Reisebeschreibung
BIG BEAT, frühe Legenden und ein ORIGINAL - die etwas andere Reisebeschreibung
in Off-Topic 16.08.2011 19:07von HH aus EE (gelöscht)
Vom Big Beat zum „Feuerwehrmann aus Lückendorf“
Es ist Montag und mitten im August. Das Wochenende war von dichten Regenwolken am Himmel und Pfützen am Boden geprägt. Es war windig und für die Jahreszeit, so sagt man, viel zu kalt. Meine Knochen haben das allumfassend bestätigt und so hab’ ich alle meine Pläne für Konzertbesuche wegen „geht nicht“ abgehakt. Ein besonderes Vorhaben allerdings hatte ich aber noch in der Hinterhand und gehofft, der Wettergott und meine Knochen würden ein Einsehen haben. Sie hatten, wenigstens sah es zunächst so aus, und so sitze ich also wieder mal in meinem Blechfreund, der mich über das Dreieck Dresden Nord und dann auf die A4 bringt. Vor Bautzen geht es runter vom Betonband – Hallo Kundi! - und von da ab noch eine Stunde in Richtung Süden, Dreiländereck – Polen, Tschechien und ein Zipfel Deutschland. Eigentlich hatte ich gehofft, sehenden Auges den Bergen entgegen zu reisen, aber schon vor Bautzen hatte es wieder kräftig geregnet und der Blick auf die Umgebung wird von einem dichten Regenvorhang verhindert. So sind die Berge des Zittauer Gebirges nicht einmal zu ahnen. Hier spricht man das „r“ in unnachahmlicher und besonderer Weise und hier sagen sich polnische, tschechische und deutsche Füchse, Hasen und Ziegen „Gute Nacht!“. Vielleicht ticken sogar die Uhren in den alten Umgebindehäusern ein ganz klein wenig anders, weil beschaulicher.
Diese Gegend hat etwas besonderes und die Menschen der Oberlausitz sicher auch. Kaum vorstellbar, dass außer dem Duo Kathrin & Peter - Hallo Kundi! - hier noch andere Musiker zu Hause sind bzw. waren. Die Musiker der von Fans geliebte Country & Western - Legende HÖHNE & Co. sind hier geboren, waren hier glücklich, bis sie der „Umstände wegen“ ihre Heimat verlassen mussten. Das war in diesem Landstrich nicht anders als in Berlin oder Leipzig, nur eben nicht so spektakulär.
Doch es gibt inmitten dieser Berge und Täler (immer noch) mehr zu entdecken, als sich so mancher vorzustellen vermag und so griff ich vor ein paar Wochen wieder zum Telefon, um einen Musiker aus den frühen Jahren, einen, der von Anfang an dabei war und den ich schon Mitte der 60er live auf der Bühne meiner Heimatstadt erlebt hatte, um ein Gespräch und Informationen aus seiner Vergangenheit zu bitten. Mich treibt die Erkenntnis und also auch die innere Unruhe, dass sie alle nicht das ewige Leben ihr eigen nennen und die Erinnerungen an jene Zeit irgendwann mit ihnen verschwinden werden. Wer würde dann authentisch berichten, wie’s mal angefangen hat, wer mit wem musiziert hat und was manchmal alles nebenbei geschah? Das alles erfährt man vor den Konzertbühnen stehend nicht und in privaten Archiven ist dort auch keine Gelegenheit zum Wühlen. So wurde aus dem Wunsch, ein langes Telefonat zu führen, eine Einladung und deshalb fahre ich hinter Zittau in eine diesige Nebelwand hinein, statt die Höhen des Zittauer Gebirges zu bewundern. Selbst der Berg Oybin mit der gleichnamigen Burg darauf ist mit seinen über 500 Metern völlig im Dunst verschwunden. –
In den späten 50ern und frühen 60ern kam die „Gitarrenmusik“ in Form von Twist, Rock’n’Roll und Big Beat mit etwas Verspätung auch in der DDR an. Zunächst orientierte man sich an den englischen SHADOWS, den FORTUNES oder an DUANE EDDIE’s schwingend blechernen Gitarrensound. Jeder zweite Jugendliche hatte außerdem die stampfende Bassfigur und das knartzige Saxophon von „Peter Gunn“ im Ohr. Überall im Lande schossen die Gruppen wie Pilz(köpfe) aus den Garagen und Kellern. Man nannte sich LUNICS, SPOTLIGHTS, SPUTNIKS, BUTLERS und auch FRANKE-ECHO QUINTETT oder THEO SCHUMANN COMBO. Einiges davon ist auf den beiden legendären Amiga-Scheiben BIG BEAT I und II zu hören und einige Singles, wie zum Beispiel „Das Haus in New Orleans“, gesungen von Manfred Krug, wurde mit genau diesen Musikern eingespielt. Zum Beispiel das Saxophon-Solo in diesem Song, nur kann man es auf dem Cover nicht nachlesen, wer da das Blech so faszinierend zum Klingen bringt. Eigene Singles der SPUTNIKS, des FRANKE ECHO QUINTETTs oder der AMIGOS, mit dem Beatles-Cover „Komm gib mir deine Hand“, sind heute von Sammlern begehrte, seltene und gesuchte Raritäten.
Viele der damals jugendlichen Beat-Musiker sind heute in Vergessenheit geraten, andere entwickelten sich weiter, überstanden Zensur, sozialistische Bürokratie und parteipolitische Hürden sowie die Prüfung für die Berufs-„Pappe“. Starrköpfig oder angepasst, wer mag das im Detail schon beurteilen, blieben sie im Lande und starteten eine Karriere. Einige von ihnen stehen noch immer auf den Bühnen, zählen sich heute zur ersten Liga des „Ostrock“ und ihre Namen sind in aller Munde. Ihre Vita kennt meist jeder, doch originale Belege, Berichte oder gar Klänge aus jenen Jahren sind seltene Raritäten geworden. Die Zeit hastet aber unnachgiebig und treibt uns vor sich her, wenn man es zulässt.
Aber es gibt auch Musiker, denen der „ganz große Wurf“ versagt blieb, die nicht auf den richtigen Mentor und die richtigen Leute trafen, die für Westmedien uninteressant, weil unauffällig waren. Musiker allerdings blieben sie ihr Leben lang und die Musik blieb, unbeachtet vom Medieninteresse, ihr Lebensinhalt und ihre große Leidenschaft. Deshalb machen sie auch heute noch immer das, was sie am besten können – sie machen Musik und unterhalten ihr Publikum. An so einen Mann aus meinen Jugendjahren klebten meine Erinnerungen über Jahrzehnte fest, denn ich sah ihn sowohl mit den BEROLINA SINGERS, als auch mit der Band DREILÄNDERECK live die Songs der Beach Boys, Mamas & Papas und der Monkees spielen. Die Combo aus dem DREILÄNDERECK war die erste in der DDR, die die 16 Minuten von „In-A-Gadda-Da-Vita“, einschließlich dem Drum-Solo, live auf die Bühne brachte. So etwas vergisst einer wie ich nicht und so habe ich mich auf die Suche gemacht und mich dann gewundert, wie leicht der Mann mit dem Saxophon zu finden war. -
KURT „Saft’l“ GERLACH hat sein schmuckes Häuschen ganz oben auf der Höhe. Steht er davor, hat er freien Blick hinunter ins Tal oder hinüber ins Polnische und Tschechische. Vorausgesetzt, er erwischt einen besseren Tag als ich, doch er braucht ja nur auf den nächsten zu warten. Er sitzt mit seinem ständig lächelnden Gesicht mir gegenüber auf der heimischen Couch und aus dem großen Fenster hinter ihm fällt der Blick über den Ziegenstall hinweg über das Tal bis zu den verdeckten Bergriesen.
Dies hier ist ein Ort, den man sich in jedem Traum erträumt, doch der hier ist auch real und von malerischer Schönheit und urwüchsiger Natur umgeben.
Für drei viel zu kurze Stunden tauchen wir beide ein in Erinnerungen und Episoden. Wir betrachten Fotos und Dokumente, die uns, je nach Assoziation, lachen lassen oder nachdenklich stimmen. Es sind die Jahre mit den BEROLINA SINGERS und die der Studioband DREILÄNDERECK. „Saft’l“ erinnert sich an so manchen Job im Aufnahmestudio, um zum Beispiel das Saxophon-Solo für das „Haus in New Orleans“ einzuspielen und auch daran, wie hoch sein Honorar dafür ausfiel. Wir tauchen ein in die Fotos der FONTANAs, erleben noch einmal unterschiedliche Gastspiele und Auftrittsorte und sprechen über DEAN REED, in dessen Begleitband „Saft’l“ musizierte. Vor mir auf dem Tisch liegen diverse Urkunden neben der Nachricht von einem Auftrittsverbot. Das eine mutet so lustig an, wie das andere lächerlich und dumm ist.
Wir sprechen über die Wendewirren und ein Engagement auf der „Arkona“, um letztlich wieder in der Gegenwart und damit beim „Feuerwehrmann von Lückendorf“ zu landen. In dieser Paraderolle eines Urmusikanten erfreut er mit seinen 70 (siebzig!!) Lenzen noch immer sein Publikum, egal, ob es sich um eine private Fete oder ein gesellschaftliches Ereignis handelt. „Saft’l“ steht voll „im Saft“ und im Leben, strahlt eine unbändige Lebensfreude einerseits und erstaunliche Gelassenheit andererseits aus. Entgegen allen „Gewohnheiten“ eines Musikanten ist er seit 50 Jahren glücklich mit seiner Helga verheiratet und lebt mit ihr, mit seinen Katzen, Enten und Ziegen, auf einem der schönsten kleinen Flecken, die ich je gesehen habe in der Höhenluft des Zittauer Gebirges, in einem der äußersten Zipfel dieses Landes. So ähnlich könnte auch das Paradies aussehen, wenn die Sonne scheinen würde.
Zum Abschied steht er vor mir mit einem Dudelsack und spielt mir „Amazing Grace“ in genau jener Art, wie der Song von der „Military Band Of The Royal Scots Dragoon Guards“ gespielt wird. Da werden mir die Knie weich, denn ich erlebe einen, der irgendwie auch, gleich anderen, einen Teil Musikgeschichte mit geschrieben hat, aber nie den Biss oder Ehrgeiz zur „Kultfigur“ entwickeln wollte und dennoch ist er Ikone und Original wie kaum einer, den ich kenne. Darüber wird noch zu sprechen und zu erzählen sein, doch dazu werde ich wohl wieder zu diesem traumhaft schönen Ort mit seinen freundlichen Gastgebern fahren müssen und wollen. Aber auf keinen Fall, wenn es regnet!!
RE: BIG BEAT, frühe Legenden und ein ORIGINAL - die etwas andere Reisebeschreibung
in Off-Topic 16.08.2011 21:01von PM • | 4.235 Beiträge | 5060 Punkte
Hartmut, du bist ein ewig Suchender - wenn es nicht solche wie dich gäbe - ich glaub viele Dinge würden sang und klanglos im Nirvana verschwinden.
Aber sag mal AMIGOS - das sind nicht etwa die alten Herren, die zum Brauereifest Volksmusik geträllert haben??? Sag das jetzt nicht.
RE: BIG BEAT, frühe Legenden und ein ORIGINAL - die etwas andere Reisebeschreibung
in Off-Topic 17.08.2011 07:58von HH aus EE (gelöscht)
Nee Petra, die Angst kann ich Dir nehmen. Die AMIGOS, die ich meine, waren eine von vielen Gitarren-Bands, die es damals gab und die zum Tanz spielten. Fünf nette junge Herren, wie die Sputniks, Butlers oder Franke-Echo eben auch. Warum die nun aus gerechnet bei AMIGA 1964 (!!) eine Single mit dem Beatles-Cover von "I Want To Hold Your Hand" (siehe Foto) produzieren durften, weiß ich auch nicht. Aber für damalige Verhältnisse waren die Jungs einfach nur gut und die Single ist heute eine gesuchte Rarität.
RE: BIG BEAT, frühe Legenden und ein ORIGINAL - die etwas andere Reisebeschreibung
in Off-Topic 27.08.2011 19:23von Kundi (gelöscht)
Hallo HH!
Es mag so 4 oder 5 Jahre her sein. Ich arbeitete damals noch in Görlitz. Da ich ja damals schon ständig auf Tour war, fragte mich eines Tages ein älterer Kollege, ob ich denn da auch den Saft'l kenne. Ich musste das erstmal verneinen. Mein Kollege habe ihn zuletzt auf einer Familienfeier erlebt. Ins Staunen kam ich dann, als ich feststellte, dass Saft'l für mehrere meiner Kolleginnen und Kollegen, die um die 60 Jahre waren, ein Teil ihrer Jugend war. Was doch 15 Jahre Altersunterschied ausmachen können.
Herzlichen Dank für diesen Bericht von und über einen Helden der Beatzeit.
LG Kundi
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