Geschichten aus Vinyl - Teil 3
Wenn jemand heute eine neue CD haben möchte, dann tut er das, was alle tun: Er kauft sich das Teil. Soll die Musik noch traditionell vom Vinyl erklingen, muß man diese Ausgabe in aller Regel im Versandhandel bestellen. Das alles geht auch bequem von zu Hause aus, wenn man Amazon mag und mit Ebay Spaß hat.
Das war nicht immer so und Erzählungen aus vergangenen Jahren werden oft belächelt oder gar bestaunt, weil sie so unglaublich klingen.
Es gab Zeiten, da konnte man schon in der DDR zum Beispiel die LP „Sticky Fingers“ von den Rolling Stones, die mit dem echten Reißverschluß, mit DDR-Mark bezahlen. Das war relativ einfach, indem man bei jemanden, den man kannte, einfach eine Bestellung abgegeben hat, der wiederum kannte jemanden, der die Platte aus dem Westen mitbrachte. Dort kostete eine LP im Laden ca. 20,00 DM und bei einem akzeptierten Umtauschkurs von 1 : 5 oder gar 1 : 6 kostete die Platte dann ein paar Tage später bei dem Bekannten 100,00 bis 120,00 DDR-Mark. Ich habe diese „STICKY FINGERS“ und es war genau dieser Weg, wie ich sie bekam. In meinem Umfeld war das damals ein „normaler“ und üblicher Weg. Wer den Umtauschkurz zum EURO noch kennt, kann ja mal nachrechnen und sich erschrecken, was eine neue CD heute in DM kosten würde.
Damals im kleinen Land mußte man schon sehr kreativ sein, wenn man (wie ich) keine Westverwandtschaft hatte, um an solche Platten zu kommen. Ende der 70er sprach mich mal ein Manager einer DDR-Band an, ich nenne ihn mal Müller, ob seine Band nicht auch bei uns in Elsterwerda mal ein Konzert geben könne. Da dies keine Frage der Höhe von Gagen war, mußten andere Kriterien zum Finden einer Entscheidung her.
Dieser Herr Müller hat mir damals angeboten, die Live-Doppel-LP von GENESIS „SECONDS OUT“, zu jener Zeit eine gefragte Scheibe, für mich äußerst preisgünstig zu besorgen. Da konnte ich nicht NEIN sagen und deshalb hat die Gruppe aus Magdeburg damals auch bei ROCK-MIX gespielt. Die Doppel-LP habe ich übrigens immer noch.
Im Jahre 1985 war der in Australien lebende Schotte ERIC BOGLE Gast des „Festivals des politischen Liedes“ in der DDR und zum ersten Mal hörte ich die Originalversion eines Songs, den ich bisher nur von HANNES WADER kannte. Dieses „No Man’s Land(The Green Fields Of France)“, bei Hannes Wader „Es ist an der Zeit“, ist ein eindringlicher Appell gegen den Krieg und hat mich schon bei Wader tief berührt.
Zu jener Zeit hatte ich, wieder Dank meines Vaters, eine Brieffreundin in Tasmanien, Australien. Ich habe sie gebeten, mir eine Platte des Sängers mit jenem Song darauf zu schicken. Ein paar Wochen später konnte ich die Doppel-LP ERIC BOGLE „IN CONCERT“ in meinen Händen halten.
Das gleiche habe ich später mit ELTON JOHN’S „LIVE IN AUSTRALIA“ noch einmal gemacht, denn es ist für einen Sammler schon etwas ganz besonderes, die jeweiligen Original-Pressungen aus Australien zu besitzen.
JUDY lernte nach 1989 in Kapstadt einen netten Leipziger kennen, heiratete ihn wenig später und seit ein paar Jahren leben beide in Halle an der Saale. That’s life, from Australia to (East)Germany!
Ab und an kam es vor, daß sich bei meinem Vater, der übrigens Direktor einer Sonderschule und nicht (mehr) in der Partei war, Besuch aus dem Ausland anmeldete. Bei so vielen Briefpartnern aus aller Welt kein Wunder, auch wenn die Heimat DDR hieß.
Auf solche Gelegenheiten habe ich immer ein wenig gespitzt, denn meist kam vorher eine Anfrage, was man sich denn so als Mitbringsel vorstellen könne. Westkaffee und Bananen, Strümpfe und Schokolade waren in unserer Familie, Gott sei Dank, nicht ständiges Gesprächsthema und gleich gar nicht der Gipfel des Glücks. Ich hatte also meist leichtes Spiel eine Idee an den Mann, sprich Vater, zu bringen.
In den 80ern kam ein befreundetes Ehepaar aus den USA auf der Durchreise auch bei uns vorbei. Für mich waren zwei Originale im Gepäck, die ich zu DDR-Zeiten kaum bekommen hätte und die übrigens auch heute noch keine Massenware sind: JEFFERSON AIRPLAN’s „SURREALISTIC PILLOW“ und THE FLYING BURRITO BROS „THE GILDED PALACE OF SIN“. Letztere dudelt bei mir gerade auf dem Plattenteller.
In dieser Zeit kam auch der Japaner zu Besuch, der mir den TOMITA geschickt hatte und brachte als Geschenk eine Trachtenpuppe aus seiner Japanischen Heimat mit. Das Souvenir steht heute, neben vielen weiteren, als Erinnerung an meinen Vater und an die schöne Zeit mit ihm in meinem Arbeits- und Musikzimmer.
Die letzte Episode gehört in die Wendezeit, genauer in die Tage nach der Währungsunion.
Die ganze Familie war von Freunden, Westverwandtschaft hatten wir nicht, für drei Wochen in den Großraum Göppingen/Tübingen eingeladen worden. Wir lebten dort als Gäste, hatten keine Kosten und sollten uns mit den „Neuerungen“ des kommenden Lebens vertraut machen, so der Wunsch unserer Gastgeber. Es ist schön, solche Freunde zu haben. Bis heute übrigens!
Ich hatte mir immer gewünscht, mal in einem großen Plattenladen zu stehen und nach Herzenslust im Vinyl wühlen zu können. Die Gelegenheit ergab sich in Tübingen, wo wir eine Plattenhandlung aufsuchten. Das gab’s damals noch! Ich weiß noch, daß ich vor den riesengroßen Kisten und Regalen mit tausenden von Schallplatten stand und das Ganze mit brachialer Wucht über mich herein brach. Ich stand dort und war leer, hilflos und erschlagen.
Plötzlich wußte ich nicht mehr, was ich wollte, warum ich dort war, was diese Unmenge an Musik von mir wollte und woher die vielen Langspielplatten und Singles kamen. Ich habe mich richtig schlecht gefühlt und ich weiß noch, daß mir der Schweiß aus allen Poren kroch und ich am liebsten nach draußen gerannt wäre.
Mit dem letzten Mut der Verzweiflung habe ich dann bei den BYRDS gewühlt und mir eine Solo-LP von ROGER McGUINN für 9,90 DM genommen, nur damit ich schnell wieder aus diesem Überfluß heraus konnte. Ich habe Jahre gebraucht, um mich mit diesem Überangebot anzufreunden und genug Zeit und Ruhe zu finden, um mich durch die Plattenberge, meist in Second-Hand-Shops und mit einer vorbereiteten Liste in der Hand, durchzuwühlen.
Das Überangebot von Waren, gleich welcher Art, macht mich immer noch unsicher und den Gang in einen Supermarkt oder anderen „Einkaustempel“ vermeide ich noch heute, wenn ich kann. Einkaufen aus einem organisierten Überangebot kann nicht unser Streben sein, das ist meine feste Überzeugung. Glücklich macht es auf Dauer auch nicht und „Shoppen“ ist keine sinnvolle Freizeitbetätigung. Andere sehen das anders, aber die sind auch nicht mein Umgang. Da will ich gern „altmodisch“ sein und „von gestern“ genannt werden.
Nach meiner Lebensvorstellung müssen andere Werte her, um auf Dauer Glück empfinden und vor allem auch teilen zu können: Freundschaft, Liebe, Achtung, Moral, Musik und Bücher - Kunst! So einfach und doch so schwer zu bekommen.
Danke Hartmut!
Ja, auch wir gehörten zu den "Verrückten", die damals 100,- Ostmark für eine LP berappt haben. Wahnsinn, denn leisten konnten wir es uns eigentlich nicht... Fast drängt sich mir der Gedanke vom heutigen Wahn der jungen Menschen nach Markenklamotten auf, die sie sich eigentlich auch nicht leisten können.
Nein, Musik ist natürlich etwas anderes, wertvolleres. Und die "unsere", die wir liebten, ist zeitlos, nicht den Schwingungen der modernen Zeit unterworfen. Die Bands hört man noch heute, sie heißen Queen, Rolling Stones, Jethro Tull... und, und, und...
Dieser Bericht hat mir ein seltsames Gefühl in der Bauchgegend verschafft. Wie Recht Du doch hast!
Hartmut, deine Rückblicke sind einfach Klasse. Man erinnert sich sofort wieder daran, was man selbst erlebt hat und eigentlich schon fast vergessen schien. Ich bin ein paar Jahre nach Dir geboren, deshalb war meine Musik damals eher die der 80-er. Heute habe ich auch schätzen gelernt, was für gute Musik es doch davor schon gab. Und nicht nur Beatles oder Stones. Ich hab zwar damals keine Original-LP´s bekommen, aber wenigstens Lizens-Platten aus dem östlichen Ausland. Als Berliner hatte ich´s da relativ einfach. Die Kulturzentren“ von Polen, Ungarn, der CSSR oder Bulgarien hatten öfter mal tolle Platten. Und das für reguläre 16,10 Mark. Daher hab ich noch z.B. die Doppel-Alben „Queen-Greatest Hits“ und „Beatles-Love Songs“ oder „Secret Service“,“Commodores“,“Diana Ross“, Chicago18“ und andere.
Manchmal hab ich mich auch geärgert, wenn ich gesehen hab, welche LP es heute gibt, aber kurz vor mir war Schluß. Ich erinnere mich noch, dass damals gerade „Europe“ mit „Final Countdown“ aktuell war und die gab´s bis kurz bevor ich dran war.
Eine andere „Quelle“ war der sogenannte „Polen-Schwarzmarkt“ den es in den 80ern am Bahnhof Lichtenberg oder auch vor dem Kaufhaus am Ostbahnhof gab. Dorther bekam ich aktuelle Platten von „Sandra“, „George Michael“ oder „Modern Talking“. Natürlich deutlich teurer.
Eigentlich habe ich bis zur Wende nur eine LP im Original gekauft und das auch noch zu einem guten Preis. Folgende Vorgeschichte dazu.
Ich bekam auf Grund unserer damaligen sehr beengten Wohnsituation schon sehr zeitig (mit 19 Jahren) eine eigene 1-Raumwohnung. Da ich aber kurz danach zur NVA musste, stand meine Wohnung öfter mal leer. Deshalb sprach mich eines Tages eine Nachbarin an, ob ich Ihr die Wohnung für ein Wochenende überlassen könnte. Für Besucher aus dem Westen (Hamburg), die sonst in einem Hotel übernachten müssten. Warum nicht, wenn ich sowieso nicht da bin. Nach diesem Wochenende ( das war im Sommer´88) kam ich nach Hause und da lag ein 10.-DM Schein auf dem Tisch, als Dankeschön. Ich wusste zwar, dass ich damit eine LP kaufen würde, aber welche ? Qual der Wahl. Also klapperte ich erstmal alle „Intershops“ ab, sogar am Dresdener und am Leipziger Hbf, nicht nur in Berlin. Konnte mich aber nicht entscheiden, denn einmal gekauft, kriege ich so schnell kein West-Geld mehr. Ich musste also genau überlegen, was ich wollte. Damals stand ich wie alle Jungs in dem Alter auf „Samantha Fox“. Da gab´s aber mehrere LP´s und meistens für mehr als 10 DM. Also kaufte ich mir dann am Bhf.Lichtenberg eine LP von „Den Harrow“. Die hab ich irgendwann später mal wieder verkauft, hatte sie jedenfalls nicht mehr und wie der Zufall es will, hab ich diese LP vor ca.14 Tagen im Urlaub in einem Second Hand Plattenladen in Emden wieder gesehen. Für 1 Euro. Hab ich natürlich mitgenommen.
Übrigens hat die LP mich damals nur 5 DM gekostet und weil ich mich für keine andere entscheiden konnte, hatte ich die restlichen 5 DM bis zur Währungsreform immer noch.
Das war meine Vinylgeschichte. Freu mich schon auf deinen nächsten Teil oder auch auf ähnliche Erlebnisse von anderen „DDR-Bürgern“.
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