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TURNER CODY im Dresdner THALIA - Kino

in Off-Topic 20.10.2009 19:20
von HH aus EE (gelöscht)
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Melodien & Verse – TURNER CODY im THALIA, Dresden, 19.10.2009

Immer wieder ist es das gleiche Spiel, das gleiche Lied und beim Erinnern der gleiche Ansatz: Die 60er haben meine Jugend geprägt und die Musik jener Zeit, mein Denken und Fühlen. Neben den FAB FOUR und den STONES waren es Songs von BOB DYLAN, WOODIE GUTHRIE und JOAN BAEZ, die wir zur Gitarren sangen. Es war der Beginn einer großen Folk-Bewegung und der Anfang vom Aufbegehren gegen „die Alten“, gegen Krieg und vor allem für Frieden. Eigentlich wollten wir alles anders und besser machen, auch in der größten DDR der Welt war das so, wenn auch anders.

Heute sieht das alles ziemlich aufgeweicht und fade aus, viel zu glatt und etabliert. Aber es gibt diese Querdenker noch oder wieder, die gegen eingefahrene Strukturen andenken, die Kratzbürstigen, denen eigene Kreativität vor Business und Charterfolg gehen, die noch wirklich was mitzuteilen haben und das auch wollen. Die New Yorker „Anti-Folk-Szene“ um das Sidewalk-Cafe ist so ein Herd des Aufbegehrens und aus diesem Teil des dreckigen Großstadt-Molochs kommt Musik von jungen Leuten, die Traditionen leben lassen und dennoch ihr eigenes Ding daraus machen.

Einer von ihnen ist TURNER CODY und wenn man genau hinsieht, erkennt man den Unterschied einerseits, aber auch die Wurzeln, die er nicht verleugnen kann. Wer darauf neugierig war und sich einlassen wollte, hatte am gestrigen Montag im Dresdener THALIA in der Görlitzer Straße Gelegenheit dazu.

Da steht also einer vor mir, viel zu enge Jacke, Hemd mit offenem Schlips und ein Hut auf dem Struwelkopf. Einer, der da draußen auch in Dresdens Straßen vorkommt. Da strahlt dieser jemand etwas aus wie „ich will euch nicht gefallen, aber hört meine Musik“. Und die erzählt Geschichten aus dem Leben, innig, leise, nachdenklich und auch mit Humor.
Der Abend lebt von der Leichtigkeit seines Gitarrespiels wie bei „Suzzannah“, einer kurzen Liedgeschichte mit sehnsuchtsvollen Versen unter eine wunderschöne Melodie gelegt. Der Typ da vorn überrascht mit mich mit „Capri“, eine Nummer, die locker, flockig und unbeschwert in den Raum klingt, um danach mit einem Lied wie „The Only One I Had Is Gone“ richtig traurig und schmerzhaft von Liebe und Leid zu klagen und die Assoziationen an den jungen Dylan aufkommen zu lassen. Ein wenig ist es wie ein Wechselbad von Gefühlen, die TURNER CODY beim Hinhören auslöst, wenn er danach so ein Stück wie „Forever, Forever“ folgen lässt, das wieder ganz entspannt seinen Charme entfaltet oder bei „Lift Off“ verspielt mit Südstatten- und Americana-Akzenten umgeht. Das hätte ich so nicht erwartet!

Sein Art zu singen schwankt für mich irgendwo zwischen ein paar Namen, die ich seit Jahrzehnten mit mir rumschleppe. Aber durch seinen typischen Dialekt aus New York DownTown bringt er eine kantige Schnoddrigkeit mit, die eindeutig aus dem Heute stammt. Bei „Land Of The Living“ fällt mir das besonders auf. Manchmal erinnert er mich mit seinem nasalen Sprechgesang stark an den Altmeister, dann glaube ich wieder eine Gitarre von John Fogerty zu hören.

Mir ist, als wäre diese Zuordnung zum „Anti-Folk“ völliger Quatsch, denn TURNER CODY bedient sich frech und gekonnt genau jener Stilmittel, die so eine Schublade abzulehnen scheint. Am besten ist dieser schlaksige Kerl vor mir, wenn er sich in Liebesliedern und Liebesverse vertieft. Dann kann ich all meine Erfahrungen, Hörgewohnheiten und die Vergleiche, die sich daraus ergeben wollen, glatt vergessen und mich voll und ganz auf ihn, den Sänger und Erzähler, konzentrieren. Dann höre ich nur einen, der sich auf seine Texte, seine Geschichten und seine schönen Melodien verlässt. Manchmal blitzen sogar der Swing und der Blues durch und wenn er bei einem kurzen Solo vom Mikro einen Schritt zurück geht, wirkt er eher unbeholfen in seinem Spiel versunken. Für einen Augenblick einer Illusion kann ich mir auch vorstellen, dass neben ihm ein deutscher Jungspund namens Haase in die Saiten greift. Die würden ganz gut zueinander passen.

Er verabschiedet sich am Ende Abends, indem er ein kurzes und trockenes „Thank you Guys“ in das Mikro knautscht, um sich dann doch für zwei weitere Stücke auf das Podium klatschen und pfeifen zu lassen. Die beiden Songs „Coconut Tree“ und „Going To California“ sind bestens geeignet, alle mit einem Lächeln in die Nacht zu schicken oder nach draußen an den Tresen, wie er spitzbübisch bemerkt. Dort nutze ich die Gelegenheit zu einem Small Talk, lasse mir eine der CD’s empfehlen und signieren. Als ich ihn nach Dylan und Cohen frage, grinst er und nuschelt was von „Good Stuff“. Mir war, als hätte ich ein Glänzen in seinen Augen gesehen, auch wenn seine Schublade umgangssprachlich „Anti-Folk“ genannt wird..

Vielleicht ist das THALIA, oder manch anderer verborgener Laden in Dresden’s Neustadt, so etwas wie das Sidewalk-Cafe mit deutschem Flair. Nur doof, dass man in dieser Art vielleicht erst in 10 Jahren denken und schreiben wird, wenn der Underground längst wieder mal etabliert ist und glatt gebügelt wurde.
Wer jetzt jung ist und was erleben möchte, kann meiner Empfehlung getrost folgen: Weltklassemusik, Folk, Blues und geile Typen für 6,00 Euronen (!!) ist mehr als nur ein geheimer Tip für beste Unterhaltung.
Glaubt mir, in 10 Jahren werdet ihr für TURNER CODY oder TINY VIPERS 30,00 Euro und mehr blechen und es völlig normal finden. Ob die dann allerdings noch so ursprünglich wirken, zwei Meter vor dir musizieren und sich danach anfassen lassen, darf vorsorglich in Zweifel gezogen werden…. bis zu einem der nächsten Montagabende im THALIA !


Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 20.10.2009 19:21 | nach oben springen

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