CHRIS FARLOWE - "The Voice" of COLOSSEUM live in Finsterwalde
in Off-Topic 27.02.2010 17:10von HH aus EE (gelöscht)
„The Voice“, der Blues und die Hamburg Blues Band in Finsterwalde
Wenn sich eine der markantesten Rock- und Blues-Sänger dieses Planeten in die entlegene Lausitz verirrt, statt in Berlin eine Halle zum Schwitzen zu bringen, dann sollte man nicht lange überlegen. Wer weiß, wann und ob man noch einmal eine solche Chance bekommen wird, „The Voice“ und die Gitarre von COLOSSEUM live und im intimen Kneipen-Ambiente, so wie alles einstmals angefangen hatte, zum Anfassen nahe, zu erleben.
COLOSSEUM, einst dem bluesigen Umfeld von GRAHAM BOND und JOHN MAYAL entsprungen, hatten sich aufgemacht, die Rockwelt mit ihren einmaligen, vielschichtigen und an Suiten orientierten Kompositionen umzukrempeln. Eine Zeit lang war die Band, ihr Spielauffassung und ihr Sound das Maß aller Dinge zwischen Blues, Soul, Rock und Jazz. Mit ihrem legendären Live-Doppelalbum von 1971 hatten sie sich selbst ein Denkmal für die Ewigkeit gesetzt und ihren Fans eine der schönsten Live-Dokumente als Doppel-Vinyl geschenkt. Dieses Denkmal ist auch in meinem Plattenschrank. In der DDR haben sich Bands wie die BÜRKHOLZ-FORMATION an dieser Musik versucht und so ihren damaligen Kult-Status bei den Fans mitbegründet. Das ist inzwischen knapp 40 Jahre her.
Über den 1940 geborenen CHRIS FARLOWE viel Worte zu verlieren, hieße, einem Stones-Fan „Satisfaction“ buchstabieren zu wollen. Der Mann ist mit seinen 70 (!) Lenzen eine stimmliche Institution mit dem Charisma eines Dalai Lama im schillernden Rock’n’Roll-Gewand. Immer dann, wenn FARLOWE seine Stimme erklingen ließ, wurde ein Konzert zum Ereignis und eine Platte zum Juwel. Letzteres musste sogar JIMMY PAGE von LED ZEPPELIN zur Kenntnis nehmen, dessen Platte „Outrider“ (1988) erst durch „The Voice“ auf der zweiten Seite zu strahlen beginnt und mit „Blues Anthem“ ein gesangliches Paradestück von FARLOWE enthält. Nobody does it better!
Als ich Anfang der 70er zum ersten Mal „Colosseum Live“ auflegen konnte und „Rope Ladder To The Moon“ sowie „Lost Angeles“ mit der Stimme von FARLOWE zu hören bekam, waren von da an meine Erwartungen an Rockmusik auf einem anderen Level angelangt. Nun also, knappe vier Jahrzehnte später, ist endlich Zeit, das alles noch einmal in der Realität zu genießen und diese blöden vier Jahrzehnte einfach vor der Tür vom Brauhaus Radigk in Finsterwalde stehen zu lassen.
Im alten Traditionshaus empfängt mich angeregte Stimmung und ein Geruch, wie ihn nur die Mixtur aus Bier und Blues hergibt. Das liegt an denen, die an den Tischen sitzen oder am Tresen stehen und wartend ihre Erinnerungen austauschen. Natürlich mit einem Glas Bier in der Hand.
Ziemlich pünktlich, 30 Minuten nach angekündigten Konzertbeginn, steht die HAMBURG BLUES BAND auf der Bühne. Zwei Meter Luftlinie vor mir der „Chef“ GERD LANGE mit einer Stimme, die vergessen lässt, dass Blues aus Amerika kommen soll. Vor uns steht eine Blues-Band, deren Musiker selbst schon Geschichte schrieben, wie etwa MICHAEL BECKER (Bass) und ADRIAN ASKEW (Tasten), die beide einst bei LAKE musizierten. HANS WALLBAUM, ein Drummer mit markanten Gesichtszügen, machte schon mal für CHUCK BERRY den Rhythmus. Last not least DAVE „CLEM“ CLEMPSON, die Gitarre von COLOSSEUM und HUMPLE PIE, ein Weggefährte von STEVE MARIOTT.
Und dann brennt die Luft zwischen Tresen und Wendeltreppe. Die Jungs lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass man mit Blues’n’Boogie Balken verbiegen und Luft zum Kochen bringen kann. Es sind die Songs der aktuellen CD „Mad Dog Blues“, die auch genau so dreckig, rotzig, trocken und satt klingen, wie ich gehofft hatte. Bei Songs wie „Into The Night“ und „It Ain’t Right“ bleiben keine Wünsche offen. Die Rhythmusgruppe rockt und treibt den Mann am Mikro an, mit rauchiger Stimme seinen Blues zu singen. Die Finger des Gitarrenzauberers CLEM CLEMPSON neben ihm lassen Soli aus den Saiten brechen, die von Jubelschreien hinter mir beantwortet werden.
Mit einer besonderen Nummer aus dem neuen Album erinnern sie an DICK HECKSTALL-SAMITH, der COLOSSEUM mit aus der Taufe hob und seinem „Baby“ bis zu seinem Tod im Dezember 2004 die Treue hielt. „Bad To The Bone“ ist ein kraftvoller Blues, eine Hommage für einen Ausnahmemusiker und eine wunderbare Geste zugleich. Inzwischen ist die Luft stickig warm, mein Shirt nass und in vielen Gesichtern glänzen Schweißperlen. Nach „Stony Times“ geht der erste Set zu Ende und ein Teil der Gäste an die frische Luft.
Als gegen 23.°° Uhr die Band wieder auf der Bühne steht, ist die Spannung groß – und dann steht er da vorn, zum Anfassen nahe - CHRIS FARLOWE. Diesen Moment hätte ich festhalten wollen, wenn ich irgendwie gekonnt hätte. So also sieht Blues aus, wenn er einen menschlichen Körper hat und sprechen bzw. singen kann. Ein kurzes und freundliches Nicken, ein Lächeln und dann beginnt er zu erzählen von „Crazy ’Bout Me, Baby“ und von der Leidenschaft, die „Hungry For The Blues“ macht. Das wunderschöne „Lonesome Road“ schließt sich an, während die Ladies neben mir, in den Tönen versunken, lasziv ihre Körper schwenken, so wie einst.
FARLOWE singt mit einer Leichtigkeit, die ist faszinierend. Er moduliert die Töne nach Belieben und im Zwiegespräch mit CLEMPSON’s Gitarre baut er schon mal, vom Augenblick inspiriert, den Text völlig um, als eine junge Frau aus dem Personal die Treppe Richtung Boden erklimmt. So wird aus „Don’t Wonna Sing The Blues“ am Ende ganz unmerklich und überraschend „Stairway To Heaven“ nach LED ZEP und dem Gespann FARLOWE & CLEMPSON merkt man die spitzbübische Freude über solcherlei musikalische Finessen, die der Augenblick schreibt, auch an.
Zwischendurch plaudert FARLOWE darüber, wie er zu seinem gebrochenen rechten Arm gekommen ist, er lässt sich spöttisch über den Service von British Airways aus, weil die seine beiden Koffer „versaubeutelt“ haben und macht sich über die Klamotten lustig, die er statt dessen tragen muss und so ganz nebenbei leitet er auf diese Weise zu „Don’t Wonna Love You“ über. Seine Stimme wandelt als „The Voice“ durch die Tiefen, geht schrill in die Höhen, sie jodelt und grunzt oder hält Zwiegespräch mit der Gitarre, dass es ein wahres Vergnügen ist, diesem Mann vor sich agieren zu sehen.
Eine Schönheit meines Jahrganges aus dem Publikum überreicht zwischendurch ihrem Idol einen Strauß roter Rosen und bekommt ein Küsschen auf die Wange. Manchmal wäre ich auch ganz gerne ein Frau… und FARLOWE bedankt sich bei allen anderen mit „Sing The Blues For You“.
Von mir aus hätte es auf diese Weise noch ein Stündchen oder auch zwei länger gehen können. Wenn FARLOWE sein Alter in Luft auflösen kann, warum nicht auch ich? Es macht Laune, die beiden Virtuosen an Keyboard und Gitarre beim Zuwerfen der Soli zuzusehen, wie sie sich freuen, den jeweils anderen ein wenig geneckt zu haben. Es ist ein wahres Vergnügen, CHRIS FARLOWE in das Gesicht zu sehen, einen Blick einzufangen oder eine Geste zu erhaschen. Jeder ist ein Solist vor dem Herrn und gemeinsam sind sie schlicht eine Wucht.
Na klar, zum Ende singt dieses Blues-Monument „Out Of Time“, die alte Stones-Nummer und alle brüllen wir den Refrain in die stickige Luft: „Baby, Baby you’re out of time“ und weil’s so schön war kommt als Verbeugung vor STEVE MARIOTT der Zeitsprung zurück in meine Jugendjahre. Mit „All Or Nothing“ von den legendären SMALL FACES krachen die letzten Blues-Akkorde in den Saal und eine Legende tritt für diesen Abend von der Bühne ab. Um diese Zeit und vor diesem Mann will ich mich gern mit einer tiefen Verbeugung verabschieden – Good Luck & Goodbye CHRIS FARLOWE! Ich hab’ den Blues nicht nur gehört und am eigenen Leib gespürt, ich hab’ ihn auch gesehen und ihm die Hand gereicht.
Als ich wenig später wieder in der Kühle der Nacht ankomme, tobt in mir noch immer die Kernschmelze eines Blues-Reaktors. Was interessiert mich der gefrorene Matsch und der älter werdende Winter! Mir ist der wahre und leibhaftige Blues begegnet. Ich habe ihn gesehen und gehört, habe ihm gegenüber gestanden und gesessen. Mir ist „The Voice“ im Ohr und das Echo der Gitarre von COLOSSEUM begleitet mich in die Nebenstraße, wo mein silberfarbener Blechfreund auf mich und meine eingesammelten Fan-Raritäten wartet.
Irgendwann nachts und zu Hause erklingt dann noch die „Valentyne Suite“ und weil 10 Jahre jünger als FARLOWE auch nicht ganz ohne Nebenwirkungen bleiben, nimmt mich der Blues in die Arme und lässt mich selig träumen, denn „Got What I Want“. Mehr geht auch nicht!
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