Ein Weltstar und ein fast leeres Haus - COCKNEY REBEL live 2006
in Off-Topic 24.03.2010 17:50von HH aus EE (gelöscht)
Die Hymne von Sebastian und Loretta’s Tale – Cockney Rebel live 2006
Der 8. Oktober im Jahre 2006 war ein diesiger und ungemütlicher Herbsttag. Wir fahren Richtung Leipzig und das Ziel ist Haus „Auensee“. Natürlich reden wir über Musik und das, was wir in den kommenden Stunden erleben wollen. In dieses Gespräch hinein formuliert jemand so nebenbei die Vermutung, dass vielleicht gar nicht so viele kommen würden, denn wer kennt eigentlich noch STEVE HARLEY & COCKNEY REBEL? –
Es war 1973/74, da kroch ein düster-reizvoller und schwermütiger Song durch die Äther. Der hatte so etwas eigenartiges von Melancholie und Schönheit, dass man manchmal geneigt war, sich einfach wegzuträumen, sich treiben zu lassen von der süßen Schwermut, die diese 7 Minuten auszustrahlen vermochten.
Es war jene Zeit, als Georg und ich die Discothek im Jugendclub „Winterberg“ mit unserer Musik versorgten. Dort haben wir „Sebastian“ hoch- und runter geleiert und es ist uns, und offensichtlich auch den Gästen, niemals zu viel geworden.
Die erste LP von COCKNEY REBEL bekam ich am 27. Oktober 1974 von DAVID geschickt, doch auf „The Psychomodo“ war „Sebastian“ nicht zu finden, nicht mal so etwas wie ein Hit. Dennoch zählt diese Scheibe bis heute zu denen, die ich mir immer wieder gern auflege und die Debut-LP von COCKNEY REBEL mit dem Song, süß und klebrig wie Sirup, habe ich später auch noch bekommen. Der Sound von COCKNEY REBEL strahlte etwas aus, das mir bis dahin noch nicht begegnet war und mit Worten war die Mixtur aus Cockney-Slang, Gitarre, Mandoline und Geige auch nur schwerlich zu beschreiben. Nicht Rock, nicht Dance Hall, nicht Varietee, aber irgendwo dazwischen wahrscheinlich und von allem etwas plus dem Habitus von Sex’n’Drugs’n’Rock’n’Roll und das alles eigentlich in der Person eines Mannes.
STEVE HARLEY ist eine wahre Licht- und Glitzergestalt Britischer Rockmusik, einer, der in keine Schublade passt und wohl am besten mit dem Begriff eines musikalischen Chamäleons zu umschreiben ist. Der ehemalige Werbefachmann wusste seine Karriere geschickt in Szene zu setzen. Seine Art, im Dialekt des Londoner Stadtteils Cockney zu singen, so wie Jahre zuvor auch die legendären Small Faces mit dem unvergessenen Steve Marriott, sich als von David Bowie und Bryan Ferry beeinflusst darzustellen, hatte einen so hohen Erkennungs- und Identifikationswert, dass seine Musik bis heute wie aus einem einheitlichen Guss und unverwechselbar klingt. –
Mit dieser Erwartung näherten wir uns Haus „Auensee“, in der Hoffnung, noch rechtzeitig für einen guten Stehplatz in Bühnennähe einzutreffen.
Dort angekommen empfing uns eine unheimliche Ruhe. Der Auensee lag düster im aufkommenden Abend und das Haus selbst war noch zu, keine Menschenseele weit und breit. Erst nach längerem Suchen öffnete sich eine Tür und wir erhielten die Auskunft, dass im Vorverkauf nur 12 (!) Karten verkauft worden wären. Wir sahen uns schon wieder auf der Heimfahrt, ohne einen Ton gehört zu haben.
Zusammen mit vielleicht 20 anderen Gästen und Fans entschieden wir uns, zu bleiben und tatsächlich öffnete sich die große Tür eine knappe Stunde vor Konzertbeginn. So entspannt bin ich seither nie wieder in einen Konzertsaal getreten, um dann in aller Ruhe, mit einem Bier in der Hand, bis vor zur Bühnenkante zu gehen und mich dort vor den Mikrofonen zu postieren. Immer wieder traten zaghaft neue Besucher ein und kurz vor Beginn mögen vielleicht ca. 100 bis maximal 150 Leute im riesigen Saal des Hauses „Auensee“ auf den Konzertbeginn gewartet haben.
Was wir alle nicht mehr geglaubt hatten, wurde an diesem Abend wahr. Der Mann, auf den wir mehr als drei Jahrzehnte gehofft hatten, trat auf die Bühne, um die Leere im Saal zu ignorieren und uns ein fantastisches Konzert zu schenken. Da stand er keine drei Meter vor mir in seinen dunklen Jeans, der schwarzen Jacke, wir hatten immer wieder Blickkontakt, und ich wurde den ganzen Abend das Gefühl nicht los, er würde dieses „Wohnzimmerkonzert“ nur für mich ganz allein singen. Ein Mann und seine Band, dessen Karriere ich parallel zu Gruppen wie Queen, Big Country, U2 oder Simple Minds registriert und verfolgt hatte.
Ich fühlte mich um 30 Jahre jünger, während STEVE HARLEY solche Klassiker wie „Mr. Soft“ und „Sling It“ sang und dabei von seinem alten Freund und Gitarristen JEAN-PAUL CROCKER unterstützt wurde. Auch sein Drummer aus ganz frühen Jahren, STUART ELLIOTT, war mit ihm auf Tour gegangen, so daß wir beinahe die alten Original-REBELs erleben konnten. Eines seiner schönsten Lieder ist sicher „Judy Teen“, das vom faszinierenden Spiel der Mandoline und der Violine lebt und von einer traumhaft schönen und eigenwilligen Melodie getragen wird. Auch „Make Me Smile“ aus jenen frühen Jahren ist so ein Song, den wir zu hören bekamen.
In manchen Momenten schien mir STEVE HARLEY völlig in sich und seine Musik versunken zu sein. Dann schloss er die Augen und die Saiten seiner Gitarre bekamen seine schiere Spielwut zu spüren. Nach so einem Solo warf er urplötzlich mit einer schnellen Handbewegung sein Plectrum in genau die Richtung, wo ich stand und wie durch ein kleines Wunder hatte ich plötzlich dieses Souvenir aus dem Flug geangelt. Ich musste mich nicht mal bücken!
Aber STEVE HARLEY ist ein unruhiger und schöpferischer Geist. Er war nicht gekommen, seinen Back-Katalog live abzuspulen, sondern hatte mit „The Quality Of Mercy“ seine brandneue Scheibe und einige Songs daraus mitgebracht. Mit denen knüpfte er stilistisch nahtlos an die frühen Jahre an, nur klang heute alles ein wenig reifer und auch rockiger, nicht mehr ganz so märchenhaft und traumversunken wie es mir damals erschien. Ein Song wie „Journey’s End (A Father’s Promise)“ schafft es, nachdenkliche Worte geschickt in einem musikalischen Gewand zu verpacken. Mit „The Coast Of Amalfi“ zelebriert HARLEY eine romantische Feuerzeug-Hymne, die eigentlich in den Charts hätte landen müssen. Danach greift er mit „Loretta’s Tale“ noch einmal tief in die alte Kiste, doch dann ist nach gut 90 Minuten und dem Beatles-Cover „Here Comes The Sun“ das Konzert viel zu schnell vorüber.
Natürlich hoffte die kleine Besuchergemeinschaft auf eine Zugabe und der extravagante Engländer ließ sich tatsächlich von uns paar Hanseln noch einmal auf die Bühne locken und schenkte uns, worauf wir alle gehofft und gelauert hatten – „Sebastian“. Ich hab’ vor dieser Bühne gestanden, die Augen geschlossen und ganz in mich und meine Jugendtage versunken mitgesungen: „Your persian eyes sparkle, your lips ruby blue, never speak a sound… somebody called me Sebastian …“ … und dabei jeden dieser wuchtigen orchestralen Akkorde in meinem Körper gespürt, während die leisen und zarten Töne auf meinen sensiblen Nerven Ballett tanzten.
Danach war Schluß, aus und vorbei. Die Security war an diesem Abend offensichtlich auf dem linken Bein aufgestanden – beinahe wäre ich meinen Digitalknipser los geworden. Auch unsere Hoffnung, der Weltstar oder einer seiner Musiker würde den restlichen 10 Leuten noch ihre mitgebrachten Cover und Souvenirs signieren, erfüllte sich leider nicht. Meine Single „Judy Teen“ ging also leer aus, nur das kleine gelbe Plectrum liegt seitdem mit in der Hülle.
Da muss wohl trotz aller Professionalität bei den Musikern auch eine Menge Frust mitgespielt haben. Verständlich und schade zugleich. Der Abend im Haus „Auensee“ wird mir dennoch sehr angenehm und als mein persönliches „Wohnzimmerkonzert“ eines unterbewerteten Weltstars mit seiner Geschichte von „Judy Teen“, dem Märchen von „Loretta“ und der großartigen Hymne „Sebastian“ in Erinnerung bleiben.
Ein Bekannter von mir hat ihn dann während dieser Tour im westlichen Teil von Berlin live erlebt und hatte dort auch die Möglichkeit, mit ihm zu reden. Da war ich für Momente neidisch aber auch froh, so doch noch zu einem Foto mit einem Autogramm gekommen zu sein.
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