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JÜRGEN KERTH - LIVE 1978 (zum heutigen 62. Geburtstag)

in Konzertberichte Ostrock allgemein 19.07.2010 17:51
von HH aus EE (gelöscht)
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Sing mir einen Blues in deutsch – Jürgen Kerth live 1978

Blues in der DDR? Das ist ein Witz, oder?
Der Typ kommt aus Erfurt, Thüringen? Das geht doch erst recht nicht!
Blues und deutsche Texte? Was soll denn der Quatsch.
Also, nun mal langsam. Blues kommt aus Amerika, ist schwarz und klingt traurig. Gesungen wird englisch, also ur-amerikanisch. Basta!

Da kann man mal sehen, wie sich einerseits Vorurteile festfressen können und wie sie andererseits im Laufe der Zeit von der Realität überholt und ad absurdum geführt wurden. Alles so geschehen in den letzten 40 Jahren.
JÜRGEN KERTH kommt nun mal aus Erfurt in Thüringen, er spricht und singt auch so und spielt eine Blues-Gitarre, da fällt dir nix mehr ein, außer Blues. Inzwischen macht der das so lange, dass so mancher BLUESer hierzulande neidisch werden könnte.

Über die Anfänge mit den JOKERS, dem TEAM 65, den UNISONOS und mit dem Kumpel Heinz-Jürgen „Gotte“ Gottschalk und den NAUTICS ist viel geschrieben und so manches gesprochen worden. Es waren die Jahre des BEAT, die der englischen Bandnamen wie SPOTLIGHTS und es war auch die Zeit, da aus ihnen per Anweisung die RAMPENLICHTER werden mussten. Verboten wurden sie 1966 dennoch. Danach ging „Gotte“ seinen eigenen Weg bis hin zur Ausreise und KERTH einen anderen.
Als nach einigen Mugge- und Bildungsjahren der Gitarrist JÜRGEN KERTH ein eigenes Bandprojekt startete, um seiner Liebe und Hingabe zum Blues musikalischen Ausdruck zu verleihen, gab er diesem Projekt seinen eigenen Namen, auch wenn der wie im Englischen dieses „th“ besaß. Aber sein Name steht ja auch so in seiner „Pappe“ – KERTH.

Wir schreiben das Jahr 1970 und JÜRGEN KERTH geht mit einem neunen Quintett an den Start, aus dem nach dem Ausstieg des Saxophons ein Quartett wird. In dieser Besetzung erscheinen bei AMIGA viel zu spät insgesamt drei Singles. Die Band hatte allerdings schon vorher beim Rundfunk produziert und sich bei den Blues-Fans mit „Helmut“, Martha“ und Geburtstag im Internat“ Kult-Status erspielt. Vor allem dieser „Helmut“ und diese „Martha“ hatten es mir angetan und mit welcher Hingabe der Mann und seine Gitarre von beiden erzählte. Vergleichbares gab es nicht, weder hier und erst recht nicht da „drüben“.

Im Jahre 1978 erschien bei AMIGA endlich die erste Langspielplatte und seitdem wusste ich, der Thüringer Blues-Barde gehört endlich auch mal auf unsere kleine Bühne. An einem trüben Abend des 15. November des gleichen Jahres stand endlich der PKW mit dem Anhänger hinten am Bühneneingang des alten Traditionshauses „Hoppenz“ in Elsterwerda. Die durchaus bescheidene Technik wurde aufgebaut und ein unglaublich ruhig und ausgeglichen wirkender Jürgen KERTH begann, sich mit seinen Musikern auf den Konzertabend einzustimmen.

Die alte Hütte ist ausverkauft und der Saal voll, als JÜRGEN KERTH & Band die Bühne betreten und die Schalter umlegen. Endlich steht er da vorn auf der Bühne, mit seinen Blue-Jeans und der kurzen hellroten Lederjacke, hängt seine, die besondere EINE, Gitarre um und beginnt die Geschichte von „Helmut“ zu erzählen. Diese Story von einem Helmut ist so alt wie der Blues selbst: Du wirst von einer Frau verlassen und spürst den Blues plötzlich an Leib und Seele. Das ist „Helmut“ und nicht nur in Thüringen! Es folgen mit „Martha“ und „Geburtstag im Internat“ zwei Songs, die damals schon Kultstatus hatten.

Die vier Musikanten sind bestens aufeinander eingespielt. Die Rhythmussektion sind EBERHARD MEYERDIRKS, der filigrane und dynamische Schlagzeuger sowie der ruhige und einfühlsame Bassist ROLAND MICHI * (ehemals UNIVERSUM), der Ruhepol in der Band. An den Tasten agiert LOTHAR „LOTIX“ WILKE, der mit seinem voluminösen Orgelparts den Kerth’schen Sound in jenen Jahren entscheidend mitprägt. Das merkt man vor allem dann, wenn sich JÜRGEN KERTH mit seinen drei Freunden, denn genau so gehen die Bandmitglieder miteinander um, an internationale Rock-Klassiker macht. Da staunt der Fan nicht schlecht, als „Walking In The Park“ in der Version des Thüringer Blues-Mannes erklingt. Der schafft es, diese Colosseum-Nummer auch ohne die Bläser, dafür mit fetten Orgelakorden, sehr authentisch auf die Bühne zu bringen, als Mischung von Blues, Jazz & Soul mit Thüringer Akzent.

Doch die eigentlichen Perlen des Konzerts sind die eigenen Kompositionen, die kleinen einfachen Geschichten von JÜRGEN KERTH, die er in ebenso leicht verständliche und dennoch sehr glaubwürdige Texte gießt. Diese Rocklyrik ist frei von Doppeldeutigkeit und den späteren „grünen Elefanten“, die Metapher verdeckten und mancher Textzeile die Leichtigkeit nahm. Der Blues von KERTH brauchte und benutzt noch immer klare und einfache Worte, so wie dieser „Blues von den zwei falschen Freunden“ und natürlich die Liebeserklärung an seine Gitarre „Ich liebe die eine“. Die kleinen Höhepunkte der KERTH-Konzerte waren schon damals seine Gitarrensoli, zu denen er oft mit geschlossenen Augen eine zweite Stimme sang, so wie er’s heut’ noch tut.

Wo seine Wurzeln sind, ließ uns KERTH ahnen, wenn er „Red House“ von Jimi Hendrix auf den sechs Saiten zauberte oder furios an Edgar Winter’s „Tobacco Road“ ging. Dann ließ er Blues und Rock auf seine ganz eigene, thüringische Weise miteinander auf der Live-Bühne tanzen, so wie es einst Rory Gallagher mit dem Blues auf irisch tat. Zwei Seelenverwandte, die sich nie trafen.

Die Musik des Thüringers war noch nie der reine Blues. KERTH’s Spielauffassung war schon immer nach vielen Seiten offen, orientierte sich nie an scheinbaren Trends oder dem, was andere als populär empfanden. Gleich gar nicht an dem, was höheren Ortes von ihm erwartet wurde. Das machte seinen Blues auch immer etwas widerborstig und damit auch unverwechselbar. Einer meiner persönlichen Songperlen, die das belegen, war schon in jenen Jahren die Story von der „Jungen Mutti“ und seine Frage „Warum schlägst du denn dein Kind?“. Verpackt in Reggae, spielte der Gitarrist 1978 auch bei uns den etwas anderen Blues aus dem quirligen Leben, zeitlose Alltagsgeschichten, die jeder verstand.

JÜRGER KERTH zelebrierte den ganzen Konzertabend nahezu auf einem Fleck stehend. Ab und an ging er mal für an Solo nach links oder rechts vom Mikrofon weg oder trat dezent beiseite, wenn „LOTIX“, EBERHARD oder ROLAND eine kleine Solo-Einlage spielten. So etwas wie Show, irgendwelche flachen Posen oder andere Auffälligkeiten waren und sind ihm fremd. Von der Bühne strahlt seine Musik, diese Thüringer Mixtur aus Blues, Reggae, Swing & Soul, der Sound seiner Gitarre und sein unverwechselbarer Gesang. In dieser Musik ist der Musiker verwurzelt, wie der Mensch KERTH in Erfurt und Thüringen zu Hause ist. Vielleicht war der Gedanke an Ausreise deshalb nie eine Option für ihn.

Nach dem Konzert haben wir noch gesessen, das obligatorische Watzdorfer und den Braunen gemeinsam getrunken, gequasselt und Fotos von allem gemacht. Gott sei Dank! Auf das Cover seiner ersten LP schrieb mir Jürgen damals ein paar Worte, die mir heute immer noch viel geben, weil sie mich die über 30 Jahre von damals bis heute locker in einem Augenblick vergessen lassen.
Er ist auch noch immer der gleiche ehrliche Typ, hat für sein Gitarrespiel noch immer viel zu kurze Finger und außerdem dieses warme Lächeln im Gesicht, wenn man sich trifft. Die Story vom erdigen Blueser aus Thüringen ist also noch lange nicht zu Ende und der „Blues vom Blues“ klingt und lebt weiter, so lange das Holz der unverwechselbaren EINEN und der Musiker KERTH miteinander können.

* Diese Zeilen sind ROLAND MICHI am Bass gewidmet, der wenige Monate nach diesem tollen Konzert vor über 30 Jahren viel zu früh verstarb.

P.S. Herzlichen Glückwunsch, lieber Jürgen, zum heutigen 62. Geburtstag. Bleib’ gesund und spiel uns den Blues, so lange dies DIE EINE noch kann und mag!

Angefügte Bilder:
01 Kerth AK.jpg
02 Rock Mix 4.jpg
03a Kerth live 1.jpg
04 Kerth Michi.jpg
05 Kerth Poster.JPG
06 Kerth Cover.jpg
zuletzt bearbeitet 21.07.2010 14:11 | nach oben springen

#2

RE: JÜRGEN KERTH - LIVE 1978 (zum heutigen 62. Geburtstag)

in Konzertberichte Ostrock allgemein 19.07.2010 19:38
von Kundi (gelöscht)
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Schönes Geburtstagsgeschenk für Jürgen, lieber Hartmut.
Danke für diesen persönlichen und historischen Rückblick ins Jahr 1978.

LG Kundi

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