DEEP PURPLE live in Schwerin 1993 - Die Schlacht geht weiter!
in Off-Topic 28.10.2010 18:34von HH aus EE (gelöscht)
Die nächste Schlacht - Deep Purple live in Schwerin 1993
Warum ich Purple-Fan bin und seit wann, das kann ich ziemlich genau sagen. Es war, als ich zum ersten Mal 1968 oder ’69 die Bearbeitungen von „Help!“ und „Hey Joe“ im Rias „Treffpunkt“ hörte, als ROD EVANS versuchte, ein etwas anderer Rock-Sänger zu sein und in diesem Song jemand seine Gitarre auf irgend eine Art anders zupfte, als ich es bis dahin kannte. Auch das besondere Spiel der Orgel entsprach genau meinem Gefühl.
Wenig später kam dieses hymnische „Hallelujah“ und dann erschien das Album „In Rock“. Von da an war bei mir alles zu spät. Das war ganz genau meine Musik und mein Ding in jenen frühen 70er Jahren! Was dieser IAN GILLAN seinen Stimmbändern zu entlocken vermochte und wie RITCHIE BLACKMORE seine Gitarre förmlich zu Tönen zerhackte, zerriss und dehnte, war die nackte Urgewalt des Rock’n’Roll, nach der mir damals der Sinn stand. Es war, als würde jemand mit einer Handbewegung alles bis dahin Gehörte einfach vom Tisch fegen – watsch und weg damit!
Meine erste eigene LP war „Who Do We Think We Are” mit diesem Wahnsinns-Blues“ Place In The Line”. Mein Schottischer Freund DAVID hatte sie mir im März 1974 geschickt und alle anderen später auch. Ich war zu DDR-Zeiten ein Deep Purple-Junkie und blieb es bis zum endgültigen Ausstieg von Ritchie. Doch ehe es dazu kam, hatte ich das Glück, die Heroen auf der Bühne live erleben zu dürfen, wenn auch nicht mehr mit der brachialen Urgewalt eines „Made In Japan“, aber das war für mich ohne Bedeutung.
Unnötig zu erklären, dass das Erlebnis eines Live-Konzertes dieser Band in den Jahren vor 1989 für einen gelernten DDR-Bürger ein Traum bleiben musste. Doch diesmal wollte ich mir unbedingt diesen Traum erfüllen, auch wenn das Konzert am 1. Oktober 1993 in Schwerin stattfinden würde. Das war zwar nicht der nächste Weg, aber auch die einzige Möglichkeit, endlich eine meiner absoluten Lieblingsbands im Original live erleben zu können.
Es mögen vielleicht um die 6000(?) Purple-Jünger gewesen sein, die sich für 38,00 Deutsche Mark (achtunddreißig!!) eine Karte für die Schweriner Sporthalle gekauft hatten. Viele mit ergrauten schulterlangen Haaren, viele waschechte Rocker und auch einige mit dem berühmten Hut, den BLACKMORE in den frühen Jahren trug. Die Halle war voll mit diesem bunten Völkchen, von denen ich für einen Abend einer sein durfte. Die Bühne lag im Dunkel, nur die glimmenden Positionslichter der Verstärkern ließen ahnen, wo die purpurnen Ritter in wenigen Augenblicken auf den Zinnen erscheinen würden, um eine ihrer letzten Schlachten als Mark II gemeinsam auszufechten. Doch das wusste zu diesem Zeitpunkt noch keiner, außer vielleicht der „Herr der Zinnen“ selbst.
Dann ging auch das Licht in der Halle aus und ein Laser zeichnete das Logo der Tour in den Bühnenhintergrund, einen wilden Drachen, der sich durch die Initialen „DP“ schlängelte, um die Könige des hymnisch-explosiven Hard Rock anzukündigen.
Die betraten zum stampfenden Rhythmus von Bass, Drums und Keyboards die Bühne und gaben Gummi für den „Highway Star“. Der alte Klassiker donnerte auch sofort richtig los, GILLAN’s Stimme war gut in Schuß und dann fiel es uns auf – der schwarze Meister mit seiner Gitarre fehlte zunächst. Erst als es Zeit für das Solo von Mr. BLACKMORE war, kam dieser aus dem Bühnendunkel von rechts, die weiße Fender Stratocaster im Scheinwerferkegel, auf die Bretter und zelebrierte sehr perfekt aber ziemlich unterkühlt seinen Part. Von da an ahnten wohl schon viele, dass etwas in der Luft lag, das noch keiner beschreiben konnte.
Doch zunächst mal gab’s Vollgas und die Klassiker der Band ließen alle Bedenken vergessen, denn die Halle kochte. GILLAN war beinahe in Bestform und RITCHIE ließ seine weiße Stratocaster aufbrüllen und jammern, dass es eine wahre Freude war, ihm vom Rang aus zu erleben. So steigerten sie sich Stück um Stück bis hin zu „Perfect Strangers“, das sich mit den typischen Stakkato Akkorden ankündigte. Dazu zauberten die Laserstrahlen ein bizarres Lichtspiel auf die Bühne. Ich war hin und alle, vergaß den Raum um mich herum und dass ich nicht allein darin war.
Mit „Anyone’s Daughter“ wird dann mein erster richtiger Höhepunkt des Konzertes eingeleitet. Dieses sanfte Stück Blues zelebrieren die fünf Musiker ziemlich eng aneinander auf der linken Bühneseite, sichtbar Geschlossenheit demonstrierend. IAN PAICE hat sein Drum-Set verlassen und sich mit einem „Handgeräten“ in die Nähe von JOHN LORDs Tasten begeben. IAN GILLAN kündigt ihn grienend, wahrscheinlich seiner Haarpracht wegen, als „Mr. Elton John“ an. Selbst BLACKMORE begibt sich nahe an diese Musikerrunde und während sie dieses tolle alte Stück intonieren, scheint es, als hätte es nie irgendwelche Rivalitäten oder gar Streitereien in der Band gegeben. Diese kurzen Minuten strahlen beinahe nur Harmonie aus, würde diesmal nicht GILLAN etwas rechts abseits stehend singen.
Das ganze löst sich auf, indem BLACKMORE mit seiner Statocaster in „Beethoven’s Ninth“ einsteigt und zeigt, was er aus diesem Instrument alles zu zaubern vermag, wenn jemand wie er die Gitarresaiten mit allen fünf Fingern bearbeiten kann. Und er konnte es noch immer! Nach und nach steigt in dieses furiose Spiel auch JON LORD an den Tasten ein. Der Mann mit dem grauen Haar tobt sich an der Hammond-Orgel aus, malträtiert die Tasten, stößt und schubst das Instrument, dass man meint, es müsse jeden Augenblick zerbersten. Wahre Sound-Kaskaden ergießen sich in die Halle. Er zitiert spielend klassische Passagen nacheinander, um wenig später Boogie Woogie Läufe aus seinem Piano perlen zu lassen. In diesen Minuten sitze ich glücklich auf meinem Platz und weiß, dass ich gerade etwas einmaliges miterleben darf.
Dazu gehören natürlich auch weitere Klassiker, die dann folgen. Doch eigentlich warte ich nur auf DEN einen, der sich dann endlich mit dem bekannten sparsamen Orgel-Intro ankündigt und leise für mich ganz allein singe ich zu JON’s Orgelspiel den Text in meinem Innern mit: „Sweet child in time, you’ll see the line, … wait fort he riccochet.“ Und dann ist alles um mich herum nur noch dieses orgiastische Anschwellen der Schreie, bis die Luft für die dritte Oktave einfach nicht mehr reicht und, so wie bei GILLAN, die Stimmbänder streiken. Okay Alter, endlich hast’e die Nummer, wenn auch mit mehr als 20 Jahren Verspätung, auch mal live gehört und mitgeschriehen - Wow!
Aus der aktuellen Scheibe „The Battle Rages On“ folgen der Titel-Song und das wunderschöne „Anya“, ein Lied über ein unbekanntes russisches Mädchen mit schwarzen Haar, blauen Augen und Zigeunerblut. So weit ich mich erinnere, waren das wohl die beiden einzigen Stücke der damaligen Neuzeit. Die Herrenriege frönte wieder den Klassikern wie „Space Truckin’“, „Speed King“ und „Black Night“, die sie im Dreierpack darboten, wobei die Meute die Möglichkeit erhielt, die Bass- und Gitarren-Line von „Black Night“ mitzugröhlen. So viel Zeit musste sein und das gehörte sicher auch zum Ritual. Vielleicht sogar bis heute?
Jetzt fehlten eigentlich nur noch jene drei Akkorde, die, in der richtigen Reihenfolge gespielt, das berühmteste aller BLACKMORE-Riffs abgeben. Der Unterschied zu späteren Gitarristen besteht wohl darin, dass der Hexenmeister seine sechs Saiten mit den Fingern nur kurz anreißt, um sie gleich danach wieder zu stoppen. Das ergibt diesen krachend-stampfenden und einmaligen Klang aus seiner Gitarre, so wie ich es mir von „Made In Japan“ vor gefühlten tausend Jahren eingeprägt hat.
DEEP PURPLE hatten sich den Riesenhit „Smoke On The Water“ in Schwerin bis zum Schluss aufgehoben und mit ihm fackelten die fünf Engländer noch einmal Partystimmung plus Hardrock-Feeling pur ab. Die in der Halle Versammelten ließen sich von Altmeister GILLAN dieses Lied für den Nach-Hause-Weg vorsingen und alle sangen wir gemeinsam mit: „Smoooke on the waaater, a fire in the sky.“ Selbst vor der Halle konnte man danach noch vereinzelt hören, wie so manch selbst ernanntes Gillan-Double sich lautstark daran versuchte. Auch in mir tobte dieses „Feuer im Himmel“ noch lange nach.
Für mich blieb das Erlebnis als schöne Erinnerung, eines der letzten Konzerte von DEEP PURPLE, der legendären Mark II, miterlebt zu haben. Vor allem RITCHIE BLACKMORE war anzumerken, dass diese Ära für ihn am Ende schien, wenngleich seine Solo-Einlagen noch immer voller Spielwitz und mit spontanen Einfällen gespickt waren, die er vor allem im Zusammenspiel mit JON LORD oder im Wechselspiel mit GILLAN’s Stimmakrobatik zum besten gab. Es mag nach und neben ihm technisch bessere oder flinkere Gitarristen gegeben haben, das zu bewerten, steht mir nicht zu. Für mich war er derjenige, der seine inneren Befindlichkeiten, seinen Spaß oder auch seine Wut, direkt mittels seiner Finger erzeugten Töne in mein Herz zu jagen vermöchte. Mal ganz zart, wie bei „Wasted Sunsets“ oder einfach nur wild, wenn er spontan zu einem Solo aufbrach und nur bei Mark II hatte er dann die ebenbürtige Partner, die das aushielten, sich in sein Spiel einfügten oder ihn für ihr eigenes zu locken vermochten. Dies und nicht weniger waren und sind für mich DEEP PURPLE.
Im November des gleiches Jahres stieg BLACKMORE dann nach einem Konzert in Helsinki für immer aus der Riege meiner Helden aus. Never mind. Das in Stein gemeißelte Monument auf dem Cover von „Deep Purple In Rock“ war von da an Geschichte und blieb es bis heute. Dafür ist es ja symbolisch in Fels gehauen. Mein Traum aber, diese vielleicht am innovativsten spielende aller Hard-Rock-Riegen live erlebt zu haben, ging in Schwerin in Erfüllung und nichts und niemand wird mir diese Erinnerung nehmen können. Da bin ich noch immer ganz Fan, auch wenn die Schlachten längst geschlagen scheinen.
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