#1

AUSSTERBENDE SPEZIES

in Off-Topic 13.01.2011 19:02
von HH aus EE (gelöscht)
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Aussterbende Spezies

Jeder weiß es, die Dinosauriere leben nicht mehr. Sie sind ausgestorben. Nicht vor ein paar tausend Jahren, nein, das ist schon vor „Jahr-Mioonen“ und länger passiert.

Doch auch heute laufen noch so ein paar Dinos rum, aber auch sie, so scheint es, haben inzwischen schon ihre Zähne verloren, ihr Bühnengang ist nicht mehr ganz so ekstatisch und die Stimme lässt bei so manchem Exemplar auch viele Wünsche offen. Offensichtlich geht es auch bei diesen Dinos so langsam aber sicher sowohl an die körperliche, als auch an die geistige Substanz. Irgendwie ein Jammer, sich das ansehen bzw. anhören zu müssen, ohne selbst etwas tun zu können!
Neue Dinos sind zwar haufenweise gezeugt, aber irgendwie fehlt denen einfach der Saft und die Inspiration, falls sie überhaupt den beschwerlichen Weg auf die Bühne finden. Meist ist deren Stimme kein dröhnendes Donnern mehr, sondern nur ein verzweifeltes und äußerst hilfloses Piepsen im Vergleich zu dem, was einst ihre Väter und Müttern von den Bühnen in die Welt sangen. Es ruht sich gut auf altem Ruhm und dessen Lorbeeren

Doch völlig unbeachtet von der Fachwelt laufen außerdem die letzten Exemplare einer ganz besonderen Spezies herum und um die ist es auch nicht besonders freundlich bestellt. Niemand hegt sie liebevoll, kaum einer füttert sie artgerecht und besondere Zuwendung fehlt fast völlig. Diese Exemplare führen ein Nischendasein, müssen sich tagsüber verkleiden und unnatürlich anpassen, einst wie damals, halten sich mit unwürdigen Jobs finanziell über Wasser und zeigen erst dann ihr wahrhaftiges und selten schönes Aussehen, wann immer an den Wochenenden die noch verbliebenen Treffpunkte für die Spezies ROCK-FAN oder ALT-HIPPIE geöffnet werden.

Dann treten sie heraus aus dem tröden, öden und ach so stinknormalen Alltag der normalen Kriech- und Säugetiere, setzen sich in ihre fahrbaren Blech-Gäule, manchmal sogar ein alter Mercedes mit einem Renft-Sticker oder einer von der Stern Combo Meissen auf einem verbeulten Alpha Romeo, und fahren hinaus in die Weite der trostlosen Musiklandschaft, um sich in einem der wenigen verbliebenen Rock’n’Roll-Hallen zu treffen. Das sind auch die seltenen Gelegenheiten, wo man sie in Ruhe betrachten kann. Dort kann man ihrem Treiben zusehen und wenn man Geduld und Toleranz mitbringt, erlebt man einen ihrer seltenen und einzigartigen Ritual-Tänze bei tosender Musik. Mit alten Jeans-Hosen und weiten Hemden darüber, um eine gewisse Unvollkommenheit zu überdecken, bewegen sie sich im Rhythmus unbekannter und seltener Klänge und wer noch hat, lässt sein langes Haar über Stirn und Schulter wehen. Es ist die vollkommene Einheit von Klang und innerer Freiheit, die immer seltener zu bewundern ist und der sie sich innerlich frei hingeben. Dann kann man die wenigen letzten Easy-Rider erleben, die geboren wurden, um wild zu sein, damit sie am Ende ihrer Tage die Stufenleiter zum Rocker-Himmel erklimmen mögen.

Doch die rockenden Fan-Dinos der Rock’n’Roll - Generation, die ergrauten Struwelpeter und Kunden werden älter, gute Rock-Konzerte immer seltener und der aufrechte und engagierte Fan-Nachwuchs ist nur spärlich nachgewachsen. Längst hat schlichtes Abspulen von Liedern und Tönen um sich gegriffen, vorgedruckte Set-Lists überfluten die Bühnen und immer weniger Rock-Sauriere wagen neue Klänge. Nur in den kleinen und engen Rock-Schuppen abseits der Metropolen erklingen heute noch ruppige Riffs und ab und an eine echte Hammond oder eine geile abgewetzte Blues-Gitarre weint ihre Töne.
Der rockende Nachwuchs zielt eher auf kurzfristigen Star-Kult, denn auf gewollt hochwertige Musik-Kost für die hungrigen Saurier-Fans. Manch neue Kost schmeckt schal, ist wenig nahrhaft und sehr oft gar unverdaulich. Kein Wunder also, dass die Fan-Dinos langsam den Rückzug in ihre düsteren HiFi-Behausungen planen, um sich dort vor posterbespickten Wänden den Klängen und Röhren der wahren Sauriere hinzugeben und ihre eigenen Erinnerungen zu leben, die kaum noch einer verstehen will.

Erst wenn ihr jungen und gestylten Schönwetter-Star-Bewunderer bemerkt habt, dass tonnenweise produzierte Billig-Silber-Linge das musische Empfinden verkümmern lassen, die letzten Dinos ihre Verstärker verfeuert und die verbliebenen Rock-Ur-Väter der Bühnen sich nur noch mit Krücken vor den Rampen bewegen können, dann wird die Musikwelt an ihrem Schein von Glitzer, Spots und Haar-Gel erblinden und billige Fast-Food-Songs von Bohlen’s Gnaden und Major-Lable’s Willkür werden Euch die verkümmerten Geschmacksnerven abtöten. Dann wird auch der letzte ergraute Alt-Hippie, wie der im Dorf-Saal zu Munzig, nicht mehr zum Gaudi und Erbauung der Wissenden vor Bühnen tanzend schweben, sondern lieber in der gleichen Erde wie Cäsar begraben sein wollen oder er wird seine Asche zwischen den Gräbern von Jim und Janis verwehen lassen. Dann ergötzt Euch an HaschMich-NaschMich-Reimen und berauscht Euch am Schunkel-Rock von drei Akkorden, „denn ihr habt die Ideale der „Rose“ und von „Satisfaction“ verraten und Euch am Lächeln von Drews benebelt, nur um einen Furz aus einem Maschinen-Arsch riechen zu können“, sprach der Herr.

Ein einsamer Rock-Oldie wird dann allein in seinem Garten vor einem kleinen Feuer sitzen, es mit hunderten von Autogrammkarten und signierten Postern füttern, im einzigen gedruckten Exemplar seines selbst geschriebenen Buches lesen und dabei genüsslich einen „Kläutel“ schlürfen und mit einem kühlen Bock-Bier nachspülen. Das Vinyl wird tausendfach in gelben Tonnen abtransportiert sein und die Glut von tausenden Covern wird seine klammen Hände noch die Nacht hindurch mit wohliger Wärme erfreuen. Im aufkommenden Morgen wird er sich unter sein kleines Apfelbäumchen legen, die Augen schließen und den ewigen „Apfeltraum“ in Moll träumen.
So oder so ähnlich könnte es sein, wenn sich einer der letzten seiner Spezies auf den Weg macht, ganz ohne Groll, denn er hat die beste Musik schon vor vielen Jahren gehört und wird die Erinnerung daran mit auf die Reise nehmen. Seine Hoffnung auf neue unbequem gesungene Worte hat er längst aufgegeben und seine eigenen längst in die Leere seiner Umgebung geflüstert. Das wird der Tag sein, von dem Don McLean sang „The Day The Music Died“……

… und jetzt zieh’ ich die Reißleine. Ade, du blöde Kommerz - Welt!

Angefügte Bilder:
Ade, du böse welt.jpg
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#2

RE: AUSSTERBENDE SPEZIES

in Off-Topic 13.01.2011 19:56
von Mary (gelöscht)
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Ich hocke hier vor der Tastatur, meine dazu etwas schreiben zu müssen, weiß in etwa "was", aber nicht "wie"...
Ich bin nicht wie Du, dass mir die Worte einfach so aus dem Hirn fallen...
Darum wird es nicht wie geplant ein längerer Text, aber ein paar Worte sollen es sein.
Ich weiß inzwischen, wie wichtig ein Feedback sein kann...
Geschrieben..., wieder mal meisterhaft!
Verstehen kann ich jede Zeile!
In vielem stimme ich Dir zu!
Und trotzdem, großer Meister, lass ab und zu etwas "Dur" in Dein Leben, trotz allem, zu viel "Moll" bekommt keinem...

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#3

RE: AUSSTERBENDE SPEZIES

in Off-Topic 13.01.2011 23:43
von Kundi (gelöscht)
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Mein lieber Rock-Oldie,

ich habe Deinen Text jetzt mehrmals gelesen. Die Grundgedanken kann ich schon nachvollziehen. Aber ganz so pessimistisch möchte ich es nicht sehen. Ich denke oder vielmehr hoffe ich das (und es schwingt eine gehörige Portion Eigennutz dabei mit), dass es "den Tag, an dem die Musik starb" so bald nicht geben wird. Mein Optimismus begründet sich dabei auf die Erlebnisse und Beobachtungen meines bis dato selbst erlebten "Rock'n Roll-Zigeuner"-Lebens, welches bei mir Ende der siebziger Jahre mit ersten Konzertbesuchen begann. Ich hätte mir damals nicht vorstellen können, dass unsereiner(damit meine ich mich selbst und viele Fans der damaligen Zeit, die man Kunden und Tramper nannte ) und ein ganzer Pulk meiner Idole im Jahr 2011 immer noch "on the road" sein würden. Der "Normal"-Bürger hat zu allen Zeiten die Spezies argwöhnisch, verständnislos und kopfschüttelnd beobachtet. Doch Totgesagte leben länger, wenn ich auch nicht verkenne, dass der Gevatter mit der Sense schon mächtig in den Reihen der Musiker und auch der Fans gewütet hat. Die älteren Fans hier können sich sicher noch an die Zeit Anfang der neunziger Jahre erinnern, als man die Konzerte von guten (Ost-)Rockbands mit der Lupe suchen musste.
"Hinz und Kunz" rannte plötzlich zu drittklassigen Bands aus den gebrauchten Bundesländern und auch viele Rock'n Roll-Zigeuner(welche "Born in G.D.R." waren) besuchten erstmal die großen Idole aus GB und den USA auf ihren Touren. Doch wie Phönix aus der Asche aufersteht, so rappelten sich damals nach einiger Zeit viele Bands und Fans wieder auf. Sicher kommen unsere Helden langsam in die Jahre und die Zeit wird weiter gehen. Aber mir ist nicht ganz so bange wie Dir, denn ich denke, dass es noch viele Jahre gute Musik geben wird. Guck Dir beispielsweise mal HAASE an( der ist noch keine 30) oder ZÖLLNER(der ist Baujahr 1962). Rockhaus, Pankow usw. sind auch noch im besten Alter und die KERTH's, Engerlinge dieser Welt werden sicherlich bis ans Ende ihrer Tage muggen, wenn die Gesundheit mitspielt.
Also, lieber HH für einen Abgesang ist es viel zu früh!!!

LG Kundi

Lefty und Kuhle von MONOKEL hatten mal ein cooles Lied geschrieben, welches auch heute noch gilt. Nur wir heben heute den Daumen nicht mehr hoch, sondern fahren mit dem eigenen Automobil;-)

"Bye bye, Lübben City

Er heißt Andreas, Micha oder Frank
Und wohnt in Lübben, Frankfurt oder anderswo
In der Woche ist er Koch oder Schlosser
Oder Stift, bei Meister Sowieso.
Er steht auf Karussell, auf Bier und Monokel
Und auf singende Schlaftabletten, ach i wo

Am Wochenende steht er auf der Piste
Und zeigt seinen Daumen vor
Die Musik, die da gespielt wird, wo er hin will
Hat er lange schon im Ohr

Bye bye, Lübben City
Und endlich kann er wieder auf Tour

Er heißt Andreas, Micha oder Frank
Und Montag sieht er immer etwas müde aus.
Er hat die Kilometer noch in den Knochen
Und die Andern kommen aus dem Fernsehhaus.
Er sagt: Gib Gas, liebe Woche
Und Freitag rastet er dann wieder aus.

Er sagt: Gib Gas, liebe Woche
Bye bye, Lübben City
Bye bye, Lübben City
Und Freitag rastet er dann wieder aus."

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#4

RE: AUSSTERBENDE SPEZIES

in Off-Topic 14.01.2011 07:53
von Bernd (gelöscht)
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Es gibt solche und solche Musik(er), die einen bleiben (ewig) haften, die anderen vergißt man schnellstens lieber wieder....
Das Knistern der AMIGA-LP als akustisches Beiwerk auf dem Plattendreher hatte was ! Jetzt wird alles digitalisiert, remastered usw. Gut für meine Ohren bleibt das eine wie das andere "plastisch". Ich kann im Gegenatz zu Hartmut und anderen Genußhörern weniger dazu beisteuern, habe aber auch die einen oder anderen Größen (Masters Of Rock) im Schrank.

Aber WAS wird heutzutage auf Teufelkommraus produziert?' Abertausende CDs wöchentlich neu im Handel, "...jeder kann seinen Schrott zum Vortrage bringen" (Udo L. - Sonderzug nach Pankow) Wieviele mumifizierte Eintagsfliegen liegen nahezu ungehört in den Plattenläden (Mediastores) ? Es gibt Meilensteine der Musik. Stones, Beatles, ABBA, Jackson, Madonna, Barclay James Harvest, Zappa, Hendrix .... Unabhängig von der individuellen Bewertung. Sie haben Geschichte geschrieben. Weltweit. Die kennt man auch in der Skihütte und am Ballermann mit Namen...
Und es gab leider genug Versuche, mit aufwändiger TV-Aufmache "Superstars" zu erzeugen, indem ein einziger Produzent bestimmt, wo es langzugehen hat.
Von denen ist ja im Moment nur einer übrig, der ab und an mal noch erfolgreich erwähnt wird. (Mark Medlock).

Aber wir haben ja noch unseren Ostrock und da gibt es zum Glück noch genügend Versuche, diesen weiter leben zu lassen. Ob als neue SILLY 2010, Stern Combo, Electra, oder auch gestandene Bands die trotz Schicksalsschläge sich nie aufhalten ließen und Spaß an der Musik haben (RENFT) Und eben auch die PUHDYS immer wieder neue Wege gehen wollen, um im Gespräch zu bleiben. Aber eben auch hier gibt es sehr mühsame Versuche, die nicht bei jeden ankommen (müssen). Sich neu zu ordnen birgt immer das Risiko, etwas bewährtes aufgeben zu müssen.

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