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Deutsch und Weltphilosophie live mit OLAF SCHUBERT

in Off-Topic 07.09.2011 19:16
von HH aus EE (gelöscht)
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Deutsch und Weltphilosophie mit dem Olaf Schubert - live in der Lausitzhalle Hoyerswerda

Wenn es nicht so dämlich und so total unförmig an meinem Leib aussehen würde, dann hätte ich mir wahrscheinlich einen gelb-grünen Rauten-Pullunder angezogen. Meine mir verbliebenen Haare hätte ich mir mit Gel oder einem anderen Produkt aus einer Tube an die Birne gekleistert und dann so einen Scheitenseitel gezogen. Nur dieses breite Grinsen hätte ich nicht hinbekommen und solche Schlapperjeans sind in meiner Bauchgröße auch nicht zu haben. Welch ein Glück! So war denn OLAF SCHUBERT doch der einzige, der in dieser modischen Kleidung für Aufsehen sorgte und in diesem Aufzug sogar auf die Bühne der Lausitzhalle in Hoyerswerda durfte. Er hatte es geschafft und er „war bei uns“, will heißen, ich war beim ihm und gemeinsam mit ein paar hundert anderen hab’ ich mir ausführlich „seine Kämpfe“ erläutern lassen.

Da steht er also, dieses gelb-grüne Wolloberteil tragende Herrenmonument, den nicht vorhandenen Bauch leicht nach vorn geschoben und abwechselnd mal sein linkes oder rechtes, zu kurz geratenes, Standbein als Drehachse nutzend, und spricht all die wirren Gedanken aus, die jeder einzelne von uns auch schon zu haben geglaubt meinte. Jedenfalls, wenn er sie dann gehört hatte.
Nach kurzer Begrüßung und einem strengen Hinweis für zu spät gekommene, die nun im Stoff hinterhinken würden, beginnt eine Reise durch abstrus zerklüftete Wortfetzen und verschachtelte Halbsatz-Labyrinte. Es geht vorbei an medizinischen Erinnerungsfetzen seiner Kindheit – „Mein Vater hat als Chirurg viele Prominente operiert. Bei Frau Merkel sogar die Prostata und das mehrmals“ – über die „feminimöse“ Wahrnehmung der Welt – „Soldatinnen halten die Stellung bis zum letzten Mann“ – bis hin zu den Erkenntnissen der Weltgeschichte, in deren Verlauf „Frauen ständig unterdrückt wurden, was sich auch bewährt hat, wenn auch niemand genau weiß, warum.“

Zwischendurch macht er den Gitarre spielenden Kämpfer, indem er die Saiten gegen den Strich bürstet und seine Stimme darunter klemmt. Um diesen Eindruck nicht zu sehr zu verfestigen, holt er sich mit JOCHEN BARKAS an der Holzgitarre und mit gelber Hose einen maßgeschneiderten Prügelknaben auf die Bühne, den gelangweilten Gegenüber, den das alles scheinbar nichts angeht und genau so die gähnende Leere nicht gesprochener Antworten symbolisiert.
Auf der anderen Bühnenseite steht manchmal in Person von Herrn STEPHAN die aalglatte Ruhe im Wege, dem das ganze Getue so ziemlich schnuppe ist. Die Gegensätzlichkeit der drei Typen da vorn füllt den Bühnenraum aus und wenn sie dann doch gemeinsam Töne fabrizieren, bekommt man eine leise Ahnung davon, was so manchem ohne die Kenntnis von DEKADANCE bisher entgangen ist. Mich eingeschlossen.

Ich hab’ versucht, all die Weisheiten von Weltverbesserungserklärungsversuchen zwei Mal je eine Stunde in mich aufzusaugen, aber jedes Mal sind die gedanklich gebauten Wolkenkratzer aus bizarren Wortwürfeln und wortvirtuos geplanten Witzfutter wieder mit meinem Lachtränen ausgelaufen. Der Versuch der Kunstfigur, eine bessere Welt herbei zu reden, muss zwar an seiner ihn selbst ständig überholenden Verbalhäckselei scheitern, nährt aber die Illusion, sich genau damit von all dem Ballast der „täglichen Kämpfe“ frei machen zu können. Mein Zwerchfell jedenfalls, hat sich für die nächsten Tage derartige weitere Attacken verbeten.

Doch Vorsicht, dahinter steckt Methode. Der Olaf mit den hilflosen Gesten und dem Gesicht eines unschuldigen Lamms in Sachsengestalt, lockt unsere Anteilnahme und elterlichen Hilfsreflexe hervor, um uns kurz darauf, in die falsche Richtung losgehetzt, mit seinen hinterhältig-sinnvollen Versprechern und Nachsetzern, eins auf die Omme, aber zumindest hinter die Ohren zu geben und jeder dieser herbei gefuchtelten Nackenschläge sitzt. Versprochen!

Wenn einer der derzeit lebenden Künstler die ostdeutsche Seele aus ihrer gebückten Haltung wieder zum aufrechten Gang ermuntern kann, ohne dabei sich selbst verbiegen zu müssen, denn der Olaf steht ohnehin krumm auf der Bühne, dann ist es dieser Erklär-un(g)s-Pullunder, der uns im „Kampf gegen den Kapitalismus imperialistischer Prägung“ zur Seite steht, weil er weiß, daß dieser Kampf zwar längst verloren, aber mit einem Lachen im Gesicht besser auszuhalten und zu verdauen ist. Ich hatte schon immer geahnt, dass meine Art, die Welt zu interpretieren, vielleicht die einzig richtige sein könnte. Kein Wunder also, dass seine frohe Botschaft, die Wende könne sich vielleicht wiederholen, weil der „Schoß noch fruchtbar ist, aus dem sie kroch – im Uterus brennt noch Licht“, von der Menge mit Beifall und Gejohle aufgenommen wurde. Mich inbegriffen.

Sprache ist uns allen, nach erfolgreicher Bewältigung vieler evolutionärer Stufen bis zur Höchstform des homo sapiens, gegeben und wir benutzen sie jeden Tag. Die letzte Stufe hieß „Pisa“ und fortan war es gestattet, die deutsche Sprachkultur, dem Maul des Mop folgend, zu verkürzen, zu verhunzen und verbal zu verunstalten. Angeblich der besseren Verständigung wegen, was ich bis heute nicht verstanden habe. Da ist es gut zu wissen und am eigenen Leib zu erfahren, daß es einen Wortjongleur und Hochseilkünstler des Unaussprechlichen in unserem Land gibt. Der hat zwei Stunden beinahe nur geredet, gesprochen, verknüpft und geknotet, das Wirrwarr gebastelt und dennoch alle Enden wieder gefunden, um sie neu zu zerstückeln und das alles ohne Daumen und Simsen. Nur mit dem Mund und ausnahmsweise auch unter Zuhilfenahme seines Gehirns! Es gibt schlicht keinen Zweiten, der das auch kann und keinen, der das kann, ohne vorzuführen oder die Gürtellinie nach oben ziehen zu müssen. Keinen zweiten Pullunder und nur einen Olaf. Mehr braucht das Volk nicht zwischen Wahrheit, Gegenwart und „Revoluschen“ und ein wenig keimte die Hoffnung, daß er dabei Substantive groß gesprochen hatte und daß dass mit „ß“ vorkam. Es gibt eine Generation nach Goethe, Schiller, Christa Wolf und Kurt Schramm, den ostdeutschländischen Arbeiterdichter! Mich inbegriffen.

Angefügte Bilder:
Olaf Schubert - meine Kämpfe.jpg
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zuletzt bearbeitet 08.09.2011 08:16 | nach oben springen

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