Als man Rockmusik noch Beat nannte
Stell dir vor, jemand könnte dir ein Angebot für eine Zeitreise machen. Eine Woche Vergangenheit und wieder zurück, pauschal und Übernachtung inbegriffen. Zwei Möglichkeit sind mir sofort eingefallen, wobei ich die erste auch gleich wieder verworfen habe, denn was bringen einem eine Woche mit der Jugendliebe ohne die Möglichkeit, noch mal was daraus machen zu können. Ich würde mich im zweiten Anlauf dafür entscheiden, noch einmal in meinen Beat-Schuppen von damals ein paar Tanzabende mit einigen meiner Lieblingsbands jener Zeit erleben zu wollen, Watzdorfer und Pfeffi inbegriffen.
Noch einmal den verrauchten Tanzsaal im Gesellschaftshaus „Hoppenz“ in Elsterwerda von innen erleben und auf der Bühne, die von samtroten schweren Vorhängen eingerahmt ist, würden nacheinander erst die Jungs von DREILÄNDERECK um KURT „Saftel“ GERLACH spielen und danach die legendären BEROLINA SINGERS mit HANSI BIEBL und JIRKA RICKHOFF. Noch einmal einen Sänger mit einem Sennheiser in der Hand, die sahen so elegant aus, und einem Sound, der gänzlich ohne Mischpult von der Bühne klang oder schepperte, je nachdem, was dort oben für Verstärker und Boxen standen. Vielleicht würde noch einmal „Everybody Needs Somebody To Love“ in der Version der Rolling Stones erklingen und ich könnte dazu mit einer der damaligen Schönheiten noch einmal im Stil jener Zeit tanzen.
Klar würde ich mir wieder eine Autogrammkarten oder ein Foto geben lassen und jeder würde seine Unterschrift darauf kritzeln. Nur diesmal würde ich die kleinen Mitbringsel besser aufheben, um sie im Heute zeigen zu können. Draußen im Schaukasten das Plakat von UVE SCHIKORA würde ich auch wieder mopsen. Dann hätte ich heute zwei.
Vielleicht käme ich aber an einem ganz anderen Wochentag in der Vergangenheit an. Vielleicht schon an einem Freitag und die Geschäfte wären noch offen. Die mit den Schallplatten im Schaufenster auch. Dort würde ich dann hinein gehen und mal nachsehen, was noch so unentdeckt in den Regalen stehen würde – ja es gab einst Schallplattenregale, auch in der DDR. Mit ein wenig Glück würde ich dann vielleicht noch eine der drei Amiga Beatles-Singles im Neuzustand erwischen oder vielleicht gar die ganze LP der Fab Four mit dem grünen Trommel-Cover. Nebenan die beiden LP’s „Big Beat I und II“ kämen auch noch gleich in die Tüte. Alle Cover wären nagelneu und das Vinyl ungespielt. Würde ich glatt mit in die Gegenwart nehmen wollen.
Abends ginge ich dann zum Tanz und diesmal würde die THEO SCHUMANN COMBO mit ihren blauen Anzügen die Bühne zieren. Von dort oben erklänge dann das unkaputtbare „Wer war gestern bei dir“ und wahrscheinlich auch „Satisfaction“, wobei das berühmte Riff der Theo mit seinem Saxophon spielen würde, damit das auch richtig rotzig und dreckig klang. Live waren die Herren aus Dresden lange nicht so zahm, wie es auf ihrer ersten Platte den Eindruck macht.
Vielleicht käme ich bei einem dritten Versuch gar nicht im Beat-Schuppen Hoppenz, sondern im alten Gasthof von Hohenleipisch an und dort würde HENRY KOTOWSKI und seine Gruppe spielen. „Cott’n“ als Gitarrist und Sänger, hinter der Schießbude Udo Jakob, an den Tasten Peter Meyer und am Bass ein Herr namens Jeske. Als zusätzlicher Sänger und Gitarrist wäre auch noch Herbert Dreilich dabei. Aus dieser Art Kotowski-Band würde später eine Combo namens Puhdys werden. Diesmal würde ich in Hohenleipisch ein paar mehr Fotos machen und sie nicht wieder irgendwo beim Umzug, samt der dazu gehörigen Negative, wegwerfen.
Es wäre einfach schön, aus diesen Zeiten nicht nur die Fotos vom Tanzstundenball, der Klassenfahrt, vom Familientreffen und dem Urlaub an der Ostsee zu haben, sondern eben auch die kleinen und wilden Schnipsel aus dem heimatlichen Beat-Schuppen und den vielen Musikern, die damals begannen, eine Karriere zu basteln, ohne es wirklich zu wissen. In meiner Erinnerung waren dies schöne und unbeschwerte Stunden, die ich gern als solche aufbewahrt wissen möchte. Sie zaubern mir noch heute ein Lächeln in mein Gesicht, das ich mir von niemanden wegreden lassen werde.
Musikalische Goldgräber- und Pionierzeiten gibt es viele in der Geschichte und ganz sicher lief vieles nicht so ab, wie es uns heute die mediale Meinungsmache glauben machen will. Die wilden 60er hab’ ich selbst erlebt und wenn ich heute mit Musikern darauf zu sprechen komme, entdecke ich noch immer, über all die holprigen Jahrzehnte hinweg, ein grelles Leuchten in deren Augen. Wer’s nicht glaubt, der soll in meine Augen sehen …. !